Rede zur Ausstellungseröffnung „Bernd Erich Gall · Playground“

Westerwald Bank · Ransbach-Baumbach · 3. Nov. - 24 Nov. 2005

Von Simone Ziegler



Geboren in Pforzheim, aufgewachsen im Schwarzwald interessiert sich Bernd Erich Gall schon früh für die Landschaft und das, was die Welt im Innersten verborgen hält: Schichtungen und Überlagerungen von Gesteinsmassen. So absolviert er zunächst ein Geologiestudium an der Universität Karlsruhe. Jedoch merkt er schnell, dass bei den Naturwissenschaften einzig der „innere Dialog“ zählt. Der Drang nach Außen, sich in einer neuzeitlichen Gesellschaft als unberechenbarer Faktor zu platzieren, sich selbst immer wieder neu zu erfinden und Inszenierung ins Spiel zu bringen, konnte ihm nur das Arbeitsfeld Kunst und das Experimentieren und Kommunizieren mit künstlerischen Ausdrucksformen bieten.

Anregung dazu gibt es er in der ehemaligen Residenzstadt Karlsruhe zuhauf: Eine viel beachtete, richtungsweisende Kunstakademie mit namhaften Professoren (Markus Lüpertz, Horst Antes, Georg Baselitz, Klaus Arnold, Per Kirkeby), eine rege Atelier- und Galerienszene sowie eine international beachtete Museums-, Forschungs- und Hochschullandschaft: z.B. das junge, dynamische „Zentrum für Kunst und Medien-technologie“ und die ihm angegliederte junge Hochschule für Gestaltung, dessen streitbarer Rektor zur Zeit kein geringer ist als der Philosoph Peter Sloterdijk, an dessen gesellschaftskritischen Thesen sich nicht nur die Karlsruher Kunstszene abarbeitet.

Karlsruhe ist sein playground, hier arbeitet er ab 1984 in seinem ersten Atelier. Mit viel Vehemenz und Radikalität brechen sich die ersten großen Leinwandarbeiten mit fragmentierten, langgezogenen, eckigen, unheimlichen, bisweilen androgynen Frauen-körpern Bahn. Die erste große Ausstellung wird gefördert vom Kulturamt der Stadt Pforzheim und findet in einer leer stehenden Fabrikhalle statt. Neben Leinwandarbeiten sind Objekte, Raum- und Videoinstallationen zu sehen. Seine bildkünstlerische Entwicklung begleiten Raumobjekte, Videoclips, Fotos, eine eigene Zeitschrift („der infant“) - schließlich ganze Webseiten mit Bildern, Texten und Sounds, die sämtlich aus einer Hand kommen. Es folgen Ausstellungen im In- und Ausland. Neben namhaften Museen und öffentliche Einrichtungen gehören junge, dynamischen Firmen wie „web.de und Forschungseinrichtungen wie das  „Forschungszentrum Karlsruhe“ zu seinen Fans und Käufern.

Doch zur Ausstellung playground. Der Künstler präsentiert uns heute eine kleine, feine Kollektion von 12 Leinwandarbeiten in Öl. Große Formate mit bewegter Lineatur, wie Sie sie am Eingang zum Sitzungssaal in „Canvas 470 White“ sehen, lassen die Anfänge seiner Malerei noch anklingen. Heute sind es nicht mehr vorrangig zeichenhafte Körper in phasenhaften Bewegungsverläufen, wie sie die italienischen Futuristen ins Bild setzten. Geometrische Farbfelder und Lineaturen stehen jetzt vor uns. Dabei sind die raumgreifenden, kraftvollen oder verhaltenen in Größe und Farbe miteinander kontrastierenden Farbfelder keinesfalls beliebig aneinander gereiht. Vielmehr folgen sie einer inneren Tektonik. Sie wird mit dem Kohlestift auf die grundierte Leinwand aufgebracht. Die Skizzierung paust sich durch verschieden Arbeitsebenen hindurch und bleibt dadurch immer präsent. In einem frühen Arbeitsprozess entstehen vor dem inneren Auge des Künstlers die Farbklänge der geometrischen Felder, Schicht um Schicht. Zu keinem Zeitpunkt hält er einen Pinsel in der Hand. Er arbeitet mit dem Spachtel. Farbfelder, strenge Geometrie, Grenzlinien und zerrissene Lineatur begegnen sich auf dem Tableau playground - der Maler entlässt sie in den „dekonstruierten Raum“, in dem Spieltrieb und vermeintliche Beliebigkeit vorherrschen - wie im großen Diptychon, hier zentral im Raum. Allein der Farbauftrag ist ein langwieriger Prozess, denn die Arbeit mit reinen, unverdünnten Ölfarben impliziert langwierige Arbeitstechniken, die wiederum zyklische Arbeitsfelder bedingen. So arbeitet der Künstler oft an 4-5 Bildern gleichzeitig.

Die Farbflächen, die wir sehen, sind alles andere als glatt. Sie haben eine charakteristische Struktur. Ihre erdige Haptik erhalten sie durch gestische, fast möchte man sagen "Spachtelhiebe" mit schwarzer Farbe. Die Rottöne, die Bernd Erich Gall verwendet, sind atemberaubend, tief, klar und niemals grell. Die Blautöne - hier eine Blau das sich mit Grau und Grün zu einem Petrol verbindet - sind ruhig, still, getragen, keineswegs kalt. Spontan ernten diese Leinwandarbeiten durch ihre spezielle Bearbeitung Zuspruch. Will man ihnen jedoch mit kunsthistorische Begriffen wie "konkrete Kunst", "abstrakter Expressionismus" oder art brut zuleibe rücken, versagen sie sich und spannen gleichzeitig das Netz auf, in welchem sie verankert sind. In der Reduktion auf geometrische Formen eines Malewitsch und unter Weglassung aller Hinweise auf Realität („Canvas“), wie sie den amerikanischen Künstlern Mark Rothko und Barnett Newman nach dem zweiten Weltkrieg eigen waren, gewinnt das künstlerische Ich im 21. Jahrhundert wieder Raum, den Spielraum für Ima-gination.

"Die Farbe hat mich", hat Paul Klee einmal gesagt. Ein Diktum, das ebenso auf Bernd Erich Gall zutreffen könnte, wenngleich es auch nur einen Aspekt seiner Arbeit widerspiegelt. Nicht dem  spontanen, rohen, unkontrollierten, emotionalisierten Kunstwerk, wie es von Malern wie Jean Dubuffet à la art brut propagiert wurde, stehen wir hier gegenüber, sondern einer Malerei, die sichtbar macht und verhüllt zugleich - weil sie uns an ihrem Werkprozess teilhaben lässt, z.B. durch die immer wieder durchscheinende Kohleskizzierung. Gleichzeitig eröffnet sie mit ihren suggestiven Farb-/Imaginationsräumen dem Betrachter die Möglichkeit, den eigenen Spielraum zu erweitern.


Auf einmal werden Farbflächen zu "Inseln", zwischen denen sich Strukturen (Kommunikation, Information) platzieren, auf einmal überschreiten bewegte Linien Grenzen, auf einmal entsteht ein Resonanzraum im Betrachter, im Gegenüber. Das künstlerische Ich oszilliert zwischen Rückzug und Entgrenzung, verwandelt und (er)findet sich immer wieder neu. Steigen wir also ein und spielen mit.