Take Roses



Von Bernd Erich Gall


Orientierung

Rasante, multimediale Erlebniswelten des ausklingenden 20. Jahrhunderts bedingen vielfältige künstlerische Reaktionen. In kurzen, sich überlagernden Sequenzen werden Antworten auf Fragen gegeben und immer weniger Fragen auf Antworten gestellt. Soziale Welten verlieren ihre Bezüge zu gesellschaftspolitischen Ursprüngen und gestalten sich dadurch in zunehmendem Maße virtuell. Jene schnellebige, zeitlose Zeit verlangt nach künstlerischer Agitation und Definition.
Die Dialektik meiner Arbeiten entsteht innerhalb eines soziologischen Umfeldes, dessen Struktur und Textur das Ich produziert und prognostiziert. Ich Bernd Erich Gall bin Ich und werde Ich sein - in allen zeitlichen und örtlichen Bezügen zwischen künstlerischer Arbeitswelt und Alltag. Jene Subjektivität bildet das konzeptuelle basement meiner Arbeiten. Der Hang, sich deutlich innerhalb der Genres und Stile bildender Kunst zu plazieren, belegt kontrapunktisch zur vermeintlich überhöhten Selbstdarstellung die Ernst-haftigkeit thematischen Arbeitens. Sich im Lebenskontext/-umfeld darzustellen impliziert eine soziologische, künstlerische Vernetzung und Standortbeschreibung innerhalb des aktuellen Kunstgeschehens. Die Inhalte der Kunst des 20. Jahrhunderts kontaminieren dabei das eigene Werk und machen es reflexiv abhängig.
Die Essenz der Moderne war es, Kunst in Leben zu verwandeln, um der Fiktion, Illusion und Entrückung abzuschwören. Dem Kunstwerk wurde seine ästhetische Isoliertheit genommen. Somit konnte es in den Alltag hineinwachsen und hatte den Anspruch, Leben und sich ganz selbst (Autonomisierung) zu sein. Die malerische Umsetzung jener Selbstbegründung (HABERMAS) hieß Abstraktion. Action Painting und Happening waren damals die engste Form der Verflechtung von Kunst und Alltag. Vieles bewegte sich weg von der Leinwand, Grenzen fielen (Entgrenzung) und Kunstwerke wurden unkonkret.
In der Postmoderne der 60er und 70er Jahre erfolgte im Sinne einer Revision der Moderne die Rückkehr zur Leinwand. Kunst wurde wieder artifiziell, die Institu-tionen der Kunst (Museen) holten sich die Kunst zurück (KLOTZ). Ein latenter Pluralismus schien währenddessen stets gegenwärtig. Eigenwillige, selbständige Weltprinzipien waren Grundlage, Glaubensbekenntnis und Motorik individuellen Kunstschaffens. Sichtbares, Gegenständliches wurde durch Unsichtbares (Abstraktion) ersetzt, stehende Bilder durch bewegte (multimediale Tendenzen). Damit definierte sich ein post-postmoderner Diskurs (Zweite Moderne n. KLOTZ). Er entstand in einer Zeit, in der bildnerische Ausdrucksmittel längst nicht mehr ausreichten, und in der individuelle Darstellungsweisen vielfältigen Ausdrucksspektren folgten. Deren Eskalation im Heute drängt den homo digitalis (Online-Gesellschaft) immer mehr in die Rolle einer displaced person. Die gegenwärtige Orientierung wird dabei vom aleatorischen Ereignis bestimmt, dessen kognitiver Charakter den künstlerischen Weg öffnet und beschreibt. Ich orientiere mich und finde mich da, wo zufällige Ereignisse Reaktionen bedingen. Daraus resultieren Spannungsfelder, die innerhalb des Arbeitskonzepts bzw. der headline einer gestalterischen Motorik und Diktion Vorschub leisten.



Gegenwärtig

In der zeitgenössischen Malerei lassen sich (im Gegensatz zu anderen Genres wie Konzept-, Objekt-, Kontext-, Multimedia-Kunst usw.) kaum charakteristische Zeitzeichen erkennen. Figuration und Abstraktion konkurrieren nach altem Muster. Die Frage nach dem Weg der Malerei an der Jahrtausendwende wird bestimmt durch Ohnmacht, Reizüberflutung und Konsum einerseits, und dem Hang des einzelnen nach produktiver Selbstdarstellung und Abgrenzung (das Künstlerindividuum auf der Suche nach dessen Duktus) andererseits. Das daraus resultierende Spannungsfeld thematisiert die aktuelle Malerei. Der einzelne will sich outen, will (wie bereits im Nouveau Réalisme der sechziger Jahre) die abgenutzten Überbleibsel der Massenproduktion, -zivilisation und -medien einer neuen Wertigkeit zuführen. Erfundene Abscheulichkeiten, Trivialitäten, Stillosigkeit und formale Attitüden neben behutsamer Sinnlichkeit, Entrückung und Verlangen nach Bildhaftigkeit beleben die Kunstszene. Gestik, Farbe und Stofflichkeit der Malerei sind dabei allein dadurch, daß sie gegenwärtig sind, jeglicher kunstgeschichtlichen Zuordnung enthoben (alles ist wieder oder wieder nicht neu). Daß die Zeit der Bilder vorbei ist, wie es Malewitsch bereits 1915 konstatierte, scheint jedoch obsolet. In dem was ist (Gegenwart), wird es immer ein Sein, ein Sich-selbst geben, und gerade darin liegt die existenzielle Kraft des Bildes. Bilder genügen sich selbst. Damit werden deutlich die Grundlagen der Malerei angesprochen.
Die Gegenwart präsentiert sich zunehmend als Raum der Begegnung, Auseinanderset-zung und Provokation. Sie involviert Refugien geistiger, kontrapunktischer, gesellschaftskritischer Diskussion. Sie bedient sich bei der Betrachtung eines äußeren Zustandes dem Automatismus inhaltlicher Kontemplation subjektiver Empfindungs- und Erlebniswelten. Die äußere Welt tut die innere auf - beide stehen in unmittelbarer Wechselbeziehung. Selbst in der zeitgenössischen Medienkunst, in der die Selbstvergessenheit des Betrach-ters durch konkurrierende, bewegte Bilder erschwert wird (KLOTZ), erfolgt eine Vertiefung des Blicks durch die Transparenz der Bildebenen und deren thematische Konzentration. Darüber hinaus entsteht ein Dialog mit dem Rezipienten, der die künstlerische Tragweite allein durch seine Subjektivität multipliziert. Dabei sind es mehr die Geisteswelten, die die Kunst (abgelöst vom künstlerischen Medium) gestalten als umgekehrt. Sie implizieren gesellschaftspolitische Denkweisen: Kunst ist das Rettende in einer Zeit, in der der Mensch fremd in einem neuen Raum ist (WERNER). Gerade im Heute überwiegt das Fremde. Die Gegenwart verliert dadurch deutlich an Prägnanz und Vordergründigkeit. Realitäten werden mit Abstand aufgezeigt, aus scheinbar sicherem Blickwinkel, entrückt in neue, virtuelle Welten. Am Anfang und Ende steht das Ich, der Künstler selbst, der sich in seiner konzeptuellen oder spontanen Arbeitsweise erkennt, findet oder verliert.



Proklamation des Ich

Take roses bedeutet ein Angebot an das Fremde, sich dem Kunstwerk zu nähern, es an sich zu binden. Es verspricht Augenblicke kontemplativer Begehung und Momente der Verrückung des Ich. Unmerklich wird der Betrachter Teil des metaphorischen Rasters. ...wer im Kunstwerk verschwindet, wird dadurch dispensiert von der Armseligkeit seines Lebens, das immer zu wenig ist (ADORNO). Sinn und Zweck jener Kohärenz ist das Verständnis der Dinge und der Reiz der Stellungnahme. Roses werden zu Chiffren, zu Piktogrammen einer geistig verwaisten Welt und erzählen umfassender als eine Unmenge Fakten und überreizter Hochgeschwindigkeitsdaten. Die Sprache wird zum Bild, das Bild zur Sprache. Die funktionalen Mechanismen unserer Gesellschaft finden sich darin wieder: Medienschwemme, Mobilität und Massenkonsum. Die Kunst zerfällt ins personifizierte Künstler/star/tum. Der einzelne Künstler mit seinen Eigenheiten, Eitelkeiten und seiner dogmatischen Erkennbarkeit macht Schlagzeilen und findet sich in den Medien als zwielichtiger Held (Malerfürsten, Documenta-Heroen). Es sind die gleichen Medien, die ihn mit Informationen und Unterhaltung überfluten, und er erfindet sich darin stets neu. In Sekundenschnelle rasseln Bilder an ihm vorüber, belagern und überschütten ihn. Sie bieten ihm die Möglichkeit der spontanen Wahl, aber nicht der gezielten Auswahl. Die Schnelligkeit der Zeitimpulse reduziert somit kontemplative Momente. Letztere einzufrieren, sie zu konservieren, ist ein Aspekt künstlerischer Arbeit, und sei es aus rein egoistischen Gründen bewußten Erfahrens. So wird aus der Leinwand ein Erlebnisraum, ein Ausdruck vielfältig entäußerter Innerlichkeit, deren akzidentielle Synchronisation bezüglich des Zeitgeschehens Authentizität bedeutet. Das autonome Kunstwerk reflektiert den Maler und befreit ihn vom Vokabular gesellschaftlicher Eingrenzung und lästiger Populärbezüge.



Sichtbares / Unsichtbares

Sichtbares und Unsichtbares äußerer wie innerer Erscheinungswelten bestimmen das Ich in Abhängigkeit von Alltag und künstlerischer Arbeit. Gedanken und Gefühle entfalten sich wertfrei und sind bereits Teil malerischer Prozesse: Ich nehme meine Gedanken und denke darauf los, einen halben Tagesmarsch und wieder zurück, das ist alles. Die Berge sind nicht hoch, die Täler nicht weit, und ansonsten bläst ein rauher Wind aus Lust und Schweigen. Ein Blick zur Sonne, dann schließe ich meine Augen - vor mir ein Schatten, so Hals über Kopf. Ich überlege, weiß, daß er mich begleitet, Kilometer um Kilometer, und greife lässig nach dem Wanderstab, dort oben in der Luft.
Das künstlerische Ego/Ich benutzt den Symbolcharakter äußerer Erscheinungswelten und die daraus resultierende innere Gestaltungsebene. In der künstlerischen Umsetzung transgrediert dabei Sichtbares über Unsichtbares und umgekehrt. Dort, wo beide sich berühren, wo beide sich in ihrem inneren Gefüge ergänzen, liegt die Geburtsstunde des Kunstwerkes. Die deduktive Wirkung gedachter Konzepte unterstützt jene Wechselwirkung und spielt bei der praktischen Umsetzung die Rolle einer suggestiven Kraft. Transformation und Metamorphose begleiten die künstlerische Arbeit und etablieren sich als wichtige Be-standteile der Umsetzung. Der Maler bewegt sich zwischen geistigen, visuellen Welten. Im Thema und Konzept dominieren Gedanken und Logik, in der Umsetzung (Methodik) visuelle Parameter wie Form, Farbe, Komposition, Aus-druck. Dabei kommt es nicht selten zur Sublimation der künstlerischen Thematik. Gefühlswelten und deren Spontaneität hinsichtlich Aktion/Reaktion wirken konzeptuellen Ausführungen keineswegs entgegen. Sie sind Grundlage und Ausgangspunkt unverzichtbarer, dynamischer Prozesse. Ich sehe, also male ich bedingt ich fühle, also male ich bedingt ich denke, also male ich bedingt ich spreche, also male ich. Sichtbares und Unsichtbares kohärieren und belegen ihr Dasein nicht nur im Konzept und Malakt, sondern im Bild selbst. Dessen vermeintlich visuelle Kraft ist zwar vordergründig, wirkt aber über geistige, emotionale Ebenen auf den Betrachter.



Identifikation

Die Ernsthaftigkeit thematischen Arbeitens resultiert aus der Identifikation zwischen Künstler und Werk. Allein die Nähe zur Leinwand macht deutlich, daß sich ein Maler nicht aus dem Bild nehmen kann. Er ist ein Gefangener seiner selbst. In meinen Arbeiten zeigt sich die Nähe zur eigenen Person als Gradient der Spannungsverhältnisse zwischen den verschiedenen Bildebenen. Über die haptische, pastose Farbabstraktion der hinteren Ebenen transgrediert eine harte Figuration des Bildvordergrundes. Schwerfällige, krustige Farbflächen involvieren scheinbar schwerelose, sich im Raum bewegende bzw. ins Bild fallende Gegenstände des täglichen Lebens (Teller, Tassen, Gläser, Besteck...). Die Rose hängt starr im Hintergrund und spannt den Bogen zum figurativen Vordergrund. Sie verwandelt sich, wird Ich, wird zur menschlichen Entsprechung (im Spannungsfeld zwischen Sexus und Morbidität, Laszivität und Härte). Verwischte Konturen neben kantiger Linien-führung, weiche Farbübergänge neben harten Kontrasten belegen Widerspruch und Verwir-rung. Die menschlichen Figuren entstehen aus den Rosen, werden selbst zu Roses und kollabieren dabei an deren ästhetischer Symbolik. Sie erscheinen farblos, geruchlos und in ihren Konturen aufgelöst (Entgrenzung findet statt). Der Widerstreit zwischen Abstraktion und Figuration basiert auf dem Widerspruch zwischen Vernunft- und Gefühls-Ich und der daraus resultierenden pluralistischen Denk- und Arbeitsweise. Gelegentlich kommt es zur Aus- bzw. Eingrenzung von Bildern, in denen die Abstraktion dominiert. Innerhalb einer thematischen, zyklischen Malerei ist dies ein gefährliches Unterfangen (thematische Inkonsequenz). Die Präsenz der Roses und deren Mehrdeutigkeit (Pflanze/Ding/Mensch) führen jedoch in jenen Arbeiten auf das Thema zurück. Der formale Hang nach Verletzung bildnerischer Konvention zeigt sich als inhaltliches Element meiner Arbeitsthematik. Die Umsetzung gestaltet sich jedoch schwierig, da innerhalb des Möglichen keine eindeutigen Wertigkeiten und Grenzen auszumachen sind. Wenn alles möglich ist, werden Verletzungen zu Konventionen. Ob daraus etwas Neues entstehen kann, läßt sich nur über die Person des Malers beantworten. Solange er sich als Individuum proklamiert und seiner Uniformierung und Multiplikation durch Massenmedien den Kampf ansagt, wird es Neues in seiner Malerei geben. In der ganzen Deutlichkeit seiner Person muß er sich mit Konturen belegen. Wie die Rose erhält er Form, Farbe und Symbolik - schließlich wird er inhaltlich zu dem, was er kreiert. Er scheint ins Bild einzukehren, ohne sich darin zu verlieren, denn dafür kennt er sich selbst zu gut. Die Malerei wird zum Perpetuum mobile, das Kunstgeschehen hält sich selbst in Gang.



Multiplikation und reine Gegenwart

Bei allen Geschehnissen entscheiden Dauer, Muster und Art der Zeitabläufe über die Programmatik bildnerischer Umsetzung. Die Form der Darstellung/Inszenierung fällt den neuen Medien bzw. der zeitgenössischen Medienkunst zwangsläufig zu und bedingt deren Authentizität. Der Malerei haften anachronistische Tendenzen an. Sie scheint stehengeblieben zu sein, damals, als die Bilder laufen lernten. Die Diskrepanz zwischen stehenden Bildern und rasanten, modernen Erlebniswelten ist jedoch einer der Kristallisationspunkte, an dem sich der Stellenwert der Malerei immer wieder neu definiert. Stehende Bilder reduzieren sich auf sich selbst und wirken Bewegungsabläufen und Sekundenbildern entgegen. Eine Reduktion auf das Wesentliche, auf die kleinste Einheit, als programmatische Erkenntnis vielfältiger Genres moderner Kunst, findet sich hier wieder. Und doch bezieht sich auch die Malerei auf Bewegungsabläufe evozierender, geistiger Art. Allein die Auseinandersetzungen zwischen Bild und Betrachter schafft Bewegung im und um das Bild.
In der Figuration meiner Arbeiten erzeugen Duplikation, Vervielfältigung und Multiplika-tion der Vordergundfiguren einen fiktiven Bewegungsablauf. Meist werden in der mittleren Bildebene Bewegungs- und Erinnerungssequenzen der im Vordergrund recht starr inszenierten Figuren aufgezeigt. Jene Roses reduzieren ihre Formelemente (lost structures) mit zunehmender Bildtiefe, d.h. sie nehmen die Konturen der Vergangenheit an - unscharf, zerrissen, aufgelöst, abwesend. Dabei werden sie in letzter Konsequenz ihrer Gegen-ständlichkeit enthoben und bilden den Übergang zur Abstraktion des Hintergrundes. In sich verschachtelte figurative Bildelemente gestalten zeiträumliche Aspekte. Darin zeigt sich eine Annäherung an die neunen Medien, zumal deren Grundmuster der Darstellung von Bewegungsabläufen durch die Hintereinanderreihung von Einzelbildern immer noch Gültigkeit hat, und auch in der Medienkunst tendenziell der Hang nach Minimalisierung, Reduktion und Beschränkung auf das Wesentliche zu beobachten ist. Namen wie Bill Viola, Nam June Paik oder Wolf Vostell und die damit verbundene Video-Kunst stehen darüber hinaus für den Protest gegen die Sekundenbilder der TV-Realität (KLOTZ). Auch das bewegte Bild ist wie das stille Bild ein gerahmtes, illusionistisches (RÖTZER). Die ästhetische Autonomie impliziert für beide eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung hinsichtlich Leben und Alltag. Auch wenn stehende Bilder in den heiligen Hallen moderner, zeitgenössischer Museen unangetastet dominieren, sind sie der Konkurrenz elektronischer, digitaler Erlebniswelten ausgesetzt. Somit bilden sie fast zwangsläufig einen Gegenpol zur Bilderwelt der Medien- und TV-Gesellschaft und deren inflationärer Bildproduktion. Ihre Behauptung im alltäglichen wie musealen Kontext schafft Positionen, aus denen heraus es sich künstlerisch agieren, definieren und sublimieren läßt.
Als Maler befinde ich mich vor der Leinwand im Kreuzfeuer zwischen Fiktion und Realität. Vergangenheit, reine Gegenwart und Zukunft treffen sich auf den Bildebenen und erschaffen eine konsequente Unrealität. Die Schnelligkeit der Gedanken, das anything goes und der Hang nach Einmaligkeit erzeugen dabei methodische Konfliktszenarien, deren Bewältigung und punktuelle Umsetzung zur Eingrenzung symbolischer, metapho-rischer Raster führen. Auch hier werden die Roses zur bildnerischen Kraft und kehren sich nach außen in gesellschaftliches Terrain. Als Kryptogramme der Neuzeit verlangen sie nach Entschlüsselung und Verselbständigung: Drei Rosen hat das All, / und scheinen über Nacht / drei bunte Stunden lang / von überall, / als wären's vier.
Die reine Gegenwart wird zum Spielball der knowledge kunsthistorischer Zusammen-hänge. Grenzen verwischen und Gegenwart vermischt sich mit den Konturen der Vergan-genheit und Zukunft. Die augenblickliche Reflexion vor der Leinwand ist somit identisch mit deren Umsetzung in Farbe, Form und bildnerischem Kontext. Mich gegenwärtig zu fühlen, ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit. Anachronistische Zeichen (harte, mondäne Frauengestalten) in Figuration und Medium sind dabei keineswegs Reminiszenzen an vergangene Zeiten, vielmehr gestalten sie das Spannungsverhältnis zwischen spontaner, künstlerischer Agitation und Gegenwart. Sich in seinem künstlerischen Tun gegenwärtig zu fühlen, definiert sich als reine Gegenwart und programmierte Vergänglichkeit. Roses verlieren ihre Farben, verblassen, manifestieren morbiden Habitus, erstarren in ästhetischer, kränkelnder Noblesse. Es findet eine Art Fossilisation (Erhaltungszustände der Gegenwart) statt. Dahinter verbirgt sich der Hang nach Distanzierung. Das Bild will sich selbst genügen, verläßt das zeitliche Raster und erklärt sich zur Schutzzone der Innenwelt. Es verliert sein Ding-Dasein und transgrediert zu Raum. Darin spielt weniger die Wiedergabe der Wirklichkeit als die Bildwirkung eine Rolle. Roses und menschliche Figur wirken metaphorisch über die Bildebene hinaus - sie erlangen eine begriffliche Identität. In jener Außenwelt wird die Malerei zu einem Versuch ohne Ende.



Zelebrierte Wiederholung des Ich

Die logische Konsequenz der Malerei unseres Jahrhunderts ist, daß sie sich stetig wiederholt. Jede Form des gemalten Bildes wird aufgrund des explosiven Stakkatos neuzeitlicher Malerei zur vermeintlichen Reprise. Intensive Selbstbekenntnisse sind konkrete Versuche, sich der Wiederholung, ja sogar der Kunst und deren Gesetzmäßigkeiten zu entziehen. Eine starke Ich-Bezogenheit malerischer Konzepte, wie sie besonders bei den Einzelgängern (Nolde, Meidner, Jawlensky, Schwitters usw.) und Emigranten (Beckmann, Grosz, Albers, Hartung usw.) der Expressio-nisten ausgeprägt war, wirkt dem stetigen Wiederholungsprozeß der Moderne entgegen. So bin ich allein mit mir und meinen Gedanken, meinem Konzept und Thema, bin einmalig hinsichtlich Person, Zeit und Raum, die sich wie drei Koordinaten aufspannen. Das Neue produziert sich darin täglich selbst, da zumindest die Zeit keine numerische Wiederholung erfährt. Der Ruf nach Neuem und der große Stilentwurf sind Inhalt und Beleg der Malerei des 20. Jahrhunderts. Immer wieder tauchen jedoch Bezüge zu bereits erledigten Themen (Neo- bzw. Postimpressionismus, Neorealismus, Neue Sachlichkeit, Neue Wilde usw.) auf. Der ambitionierte Leidensdruck nach Neugründung und Begründung belebt das Ich-Prinzip. Allein durch sich selbst prognostiziert der Künstler die Einzigartigkeit seiner Kunst. Wiederholung, Duplizität, Faksimile und remake erschweren die Sinnsuche seines Tuns (Einzigartigkeit will sich nicht wiederholen).
Ich-bezogene Wiederholungen innerhalb der Arbeiten lancieren das Mich zum multiplen Individuum, zum sinnbildlichen Spielball wahrnehmungstheoretischer Arbeitskonzepte. Wiederholung und Zerteilung figurativer Bildsequenzen belegen dabei den Widerstreit zwischen Alltag und künstlerischer Arbeitswelt. Die Verselbständigung des Kunstwerkes unterstützt die Herausforderung zur Überwindung jener Entzweiung (KANT) und prognostiziert moderne Denk- und Lebensweisen. Jene präsentieren sich wiederholt als ewige Verirrung und Zersplitterung und wirken in ihrer letzten Konsequenz kontrapunktisch hinsichtlich einer produktiven, künstlerischen Umsetzung.
Die Dominanz statischer Vordergrundfiguren hat eine paralysierende Wirkung, ebenso die sich in figürlicher Duplizität und Abundanz ausdrückende zelebrierte Wiederholung. Je mehr die Figuren in die malerische Tiefe des Hintergrundes abtauchen, um so gelöster und unkonkreter erscheinen sie. Sie verlieren an Schwere und Form und transgredieren zu abstrahierten Farbfeldern. Bildhintergrund und -vordergrund werden wiederholt zur Zeitkoordinate. Es manifestiert sich ein leises, bewegtes Bild, in dem der Rezipient in Blickrichtung Vordergrund-Hintergrund eine Art Rückschau (persönlicher Provenienz) hält. Die inhaltliche Betrachtung wird zum lokalen, aktuellen, personifizierten statement. Der ephemere Charakter jener Objekt-Subjekt-Beziehung kennzeichnet deutlich den bereits von BAUDELAIRE konstatierten flüchtigen, vergänglichen, vorübergehenden Charakter des modernen Kunstwerkes (... Modernität ist das Vorübergehende, das Entschwindende, das Zufällige, ist die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unabänderliche ist).
Das authentische Kunstwerk ist radikal mit dem Zeitpunkt seines Entstehens verbunden. Daraus resultiert seine Aktualität und Immunität gegen Trivialität und Historismus (mit gelegentlichen Ausnahmen: postmoderner Historismus). Korrespondierende und herbeigezogene Vergangenheiten erledigt es als obsolete Konstruktionen und favorisiert das Ereignis. Seine Deutung erfährt es jedoch aus Weltbildern und kulturellen Traditionen (WEHLER), aus der Perzeption sogenannter Wirklichkeiten.
Konzept, Thema und Kontext hemmen die Spannkraft aleatorischer Spontaneität und Wahrheit. In den heftig strukturierten, hartkantigen, aggressiven Skizzierungen meiner Arbeiten definieren sich jedoch bildnerische Freiräume, die sich in ihrer spezifischen Belegung zu malerischen Wirklichkeiten entwickeln. Linien, Kanten, Farbflächen und Bildebenen bauen sich zu einem subjektiven Ganzen auf, dessen Vitalität vom Duktus und Zusammenspiel besagter Bildelemente bestimmt wird. Die Skizzierung scheint aus den hinteren Ebenen weit in den Vordergrund. Die sich daraus ergebende Transparenz belegt den Entstehungsprozeß und die zeichnerisch-figurative Ausgangslage des Bildes. Viel-schichtige, meist haptische Farbflächen stehen einer Skizzierung gegenüber und verankern jene in malerischer Umgebung, deren Schwere Figürliches positioniert. Das Bild kehrt zur Fiktion zurück, grenzt sich ab (self-referenciality) und paralysiert äußere Einflüsse. In der Verfolgung der Linie und der Skizzierung offenbaren sich Kanten und Farbflächen als dezidierte Elemente einer Bildbeschreibung. Am Ende zeigen sich Gesichter gesichtslos, Figuren gestaltlos und Farbflächen farblos, akzidentiell. Die Malerei produziert sich somit bewußt widersprüchlich.



Denkfeld: Ich-Paradoxon

Die Frage nach der Authentizität konfrontiert Absurdes, Groteskes, Paradoxes mit der Ernsthaftigkeit künstlerischer Arbeit. Verzerrte Wahrnehmungsebenen, Blickwinkel und Denkfelder multiplizieren reale Erscheinungen zu oftmals phrenetischen Endprodukten, deren indifferente Platznahme im Kognitiven philosophischen Mustern folgt:
Ich-Paradoxon / Die Farben leuchten wieder, da sie die feuchte, kalte Wand berühren, und es ist früh am Morgen. Gerade jetzt kommt ein gewaltiger Tag daher. Bilder legen sich auf Schienen - und lustig, dieses ferne Blau im weißen Tag, es (Es) denkt sich fest, denn Ich bin Du und Du bist Ich.
Wer bin ich, wenn Du Ich ist? - Das Ich und sein Gegenüber (im Woanders/Unbewußten) kohärieren zwangsläufig miteinander und belegen in ihrer Gesamtheit das Ich-Phänomen. Ich im Hier und Jetzt prognostiziert Du im Dort und Morgen/Gestern. Zwischen beiden öffnen sich Interieurs der Gestaltung. Jene bilden das Maß für die Entgrenzung einer Persönlichkeit. Ich möchte sich darin nicht eindeutig definieren - besonders nicht im pluralistischen Kontext. Es weiß um die Gefahr der Dechiffrierung: Verletzlichkeit, Manipula-tion, Fremdbestimmung. Dazu gesellen sich Gefühlswelten und Stimmungen, die rational zwar beeinflußbar, aber keineswegs völlig steuerbar sind. Die Bandbreite des Ich und dessen Begehrlichkeiten nehmen zu. Die Entgrenzung zwischen Schein und Sein sorgt somit für chronische Standortbeschreibungen.
Die verschiedenen Ich-Positionen widersprechen sich und erschweren die Eindeutigkeit künstlerischer Aussagen. In der Vielzahl der Ich-Felder (authentische, pluralistische, fragmentarische, fiktive) zirkulieren reflektierte und diskutierte Ich-Phänomene, die formale wie epische Ich-Vorstellungen einschließen. Sich darin zu orten, zu proklamieren, ist ein Akt künstlerischer Umsetzung. Die Allgegenwart der eigenen Person impliziert dabei autistische Verhaltensräume, deren Enge die konzeptionelle Konzentration und spontane Aktion/Reaktion katalysieren. Allein die Betrachtung der eigenen Person von unterschiedlichen Standorten aus schafft Relationen mit pradoxen Auswirkungen und Aussagen: Das Ich (Subjekt) wird zum Du (subjektives Objekt) durch Standorttausch. Es handelt sich dabei um eine Struktur der Selbstbeziehung des Subjekts, das auf sich als Objekt zurückgreift. Du ist unbewußt (ähnlich FREUDS Es) und ambitioniert Verdrängtes.
Paradoxes der Ich-Betrachtung führt keineswegs zur Verzerrung der Wirklichkeit, es besitzt im Gegenteil deduktiven Charakter. Die Perzeption des Ich steht dem emotionalen Ich gegenüber, ebenso wie sich Vernunft- und Gefühls-Ich zwangsläufig kontrastieren. Ihre Gegenüberstellung erzeugt eine konzertierte Aktion.



Fetisch Colorless Rose

Die Empfindsamkeit für Form und Farbe dient bisweilen einem emphatischen Hedonis-mus, der sich an metaphorischen Denk- und Erlebnisrastern orientiert. Um sich dabei selbst zu positionieren, werden Wo-men und Colorless Roses zum Bildinhalt und thematisieren die symbolische Ich-Form (in der Bedeutung eines Fetisch). Darin spiegelt sich die instinktive Verwandlung komplexer Ich-Diktionen in leicht verständliche Bildsymbole. Das Bild wird zur chiffrierten, unkonkreten Mitteilungsform. Erfahrung und Bewußtsein werden überschritten, die Auseinandersetzung verlegt sich ins Übersinnliche. Eine verwirrende Vielfalt von Stimmungen und Gedanken erzeugen eine neue Realität, die den Eingebungen des Unterbewußten folgt (wie bereits im Symbolismus RIMBAUDS). Alles Herkömmliche wird in Frage gestellt, negiert, transformiert und erfährt eine bewußte Mehrdeutigkeit. Jene Verklärung zitiert auf vertrackte Weise die soziologische Ich-Beziehung. Sie entweicht ins Fiktive und entzieht sich damit einer gesellschaftspolitischen Einbindung und Ethik.
Die postmoderne Ausgangslage mit ihrem aus der Vermengung zwischen Kunst und Leben resultierenden Drang nach Fiktion (zurück zum Kunstwerk) ist heute immer noch spürbar. War es damals die Entgrenzung zwischen Alltag und Kunst (Profilverlust), ist es heute die unüberschaubare Massen- und Kommunikationsstruktur unserer Gesellschaft, die das Kunstwerk zur Diktion, Proklamation und Überhöhung zwingt. Sich innerhalb des kommunikativen Systems einen Stellenwert zu schaffen, ist der Weg der Kunst am Ende unseres Jahrtausends. Dabei begnügt sie sich nicht mit endemisch musealen Räumen. Ihre Auseinandersetzung mit der Umwelt findet innerhalb der globalen Vernetzung, dem Kunst-/Mach(t)werk unseres fin de millénaire, statt.
Zeitgenössische Malerei zwischen Internet, Online, Video- und Medienkunst scheint im Kunstpluralismus einen exemplarischen Regreß zu erleben. Jedoch ergibt sich gerade daraus eine neue Spann- und Überlebenskraft. Die Colorless-Roses behaupten sich und transgredieren zu erhabenen Wesen nihilistischer Denkprozesse. Sie plazieren sich zwischen Medien, Staat, Kirche (Pop-e-Women) und Gesellschaft und negieren Moral und Ästhetik. In ihrer unprogrammatischen Metaphysik werden sie unangreifbar für Kritik und Fremdbestimmung. Sie frönen einer Unbeschwertheit des Daseins und entschwinden schwerelos jeglicher gesellschaftlichen Ordnung und Massendiktion.



Pulp fiction

Roses und Pop-e-Women artikulieren in ihrem unbeschwerten Dasein eine Kohärenz zwischen Kunst- und Modewelt. Beide erzeugen Wünsche und Emotionen und gestalten im Fiktiven. Modische, luxuriöse, leichtflüchtige und mondäne Gestalten kreisen als prozeßhafte Sequenzen der Mode- und Popwelten über artifiziellen Wunsch- und Er-lösungsphänomenen professionellen Gefühl-Designs. Die verführerische Leichtigkeit des Daseins jener Erlebniswelten liefert dem Konsumenten ein fertig abgepacktes, illusorisches Leben, dessen Schein banale Realitäten ertragbar macht. Sie erzeugen somit ein System selbsttherapeutischer Wechselwirkung.
Der Stellenwert des Aktuellen wird in jenen Welten deutlich erhöht. Aktuelles sublimiert Gegenwart in Form von Zukunft und tut Vergangenes als obsolet ab. Der absolute Gegen-wartscharakter von Mode, Pop und moderner Kunst belegen deren Verwandtschaft. Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle ... (BENJAMIN). Sie erschafft dabei kurzzeitiges Vergnügen und Erstaunen, ohne selbst erstaunt zu sein. Der Konsument gibt sich in Obhut transzendenter Reize, die ihn mit einer aus Vorstellungswelten bestehenden Patina überziehen. Er wird ein Abhängiger des Systems easy-living und schöpft daraus Lebensziel und Lebensmut, ohne dabei die Oberfläche zu verlassen (fiktive Anteile aktueller Kunst erzeugen mitunter dieselben Mechanismen). Um tiefer zu gehen, bleibt ihm der dialektische Anteil der Kunst - so wird er vom Konsumenten zum Rezipienten und richtet sich damit gegen sich selbst. Darin steckt eine Schwere/Erschwernis von Leben an sich, denn die Tiefe, die Hinterfragung wird zur Offenbarung, zur Denutation, in deren finaler Konsequenz er sich ohne Hilfskonstruktionen gegenübersteht.
Die Welt der Mode begeistert wegen ihrer Verfänglichkeit und artifiziellen Unbekümmert-heit. Wenn Altmeister des Films wie Robert Altman oder Peter Greenaway zumindest thematisch Gefallen an der Modewelt bezeugen, belegt dies die Dichte jener Welt, die die Wirklichkeit zur Metapher und die Metapher zum göttlichen, lebendigen Schönheitsobjekt macht. Was Jean-Luc Godard in den sechziger, Robert Altman und Martin Scorsese in den siebziger und Peter Greenaway in den achziger Jahren in ihren bewegten Bildern zum Ausdruck brachten, wuchs zumindest formal aus einer modisch geprägten Zeit flacher Inhalte. Im potenzierten Handlungskontext begeisterte sich jedoch ein Millionenpublikum daran. Die Pop Art der sechziger Jahre war sogar bereit, Mode, Kitsch und Konsum zur Kunst zu erhöhen. Kunst sollte etwas sein, was sie noch nie gewesen war. ...Pop ist alles das, was Kunst ...nicht gewesen ist (ROBERT INDIANA).
Im thematischen Bilderzyklus Pop-e-Women zeigt sich die Blöße jener Modewelt allein im Bedeutungsspiel Pope/Pop/Women/Men. Staat, Kirche, Gesellschaft und Mode verkörpern darin das Prinzip Widerspruch und Subjektivität. Sie negieren institutionalisierte Macht in Form von Rollentausch: die Frau als Inthronisation des Göttlichen, als fuzzy face einer pulp fiction. Jene Chuzpe im Umgang mit kirchlicher Reglement machen die Ich-Position des Künstlers klar. Er will sich nicht mit Abwesenheit vom gesellschaftlichen Reglement im Bild verabschieden, vielmehr nimmt er Stellung zu Gesellschaftsfeldern obsoleter, lähmender Traditionen und definiert damit eine neue Unordnung, einen neuen Un-Ort der Betrachtung, nämlich das Werk selbst. Der Künstler zeigt sich darin ohne Sendungsbewußtsein im konzeptuellen Kontext seiner Arbeit.



Diskursive Migration (Ion-Kreis)

Die Ansiedlung künstlerischer Arbeit innerhalb soziologischer Systemgruppen führt zum konzeptuellen Diskurs. Gefühl und Logik, Instinkt und Wissen, Spontaneität und methodische Konstruktion sind darin mit all ihrer Gegensätzlichkeit involviert. Selbst Konzeptions-loses wird zum Konzept, wenn es als solches deklariert wird (Konzept-Paradoxon). Künstlerische Arbeit erlagt dadurch diskursiven Charak-ter, sie etabliert sich innerhalb eines globalen basements zwischen Sinn, Empfindung, Ratio und Logik. Ge-fühls- und Vernunftsebene stehen sich bei Ausführung und Betrachtung der Arbeit gegenüber, ergänzen sich und bilden ein arbeitstheoretisches Modell diskursiver Migration.
Der direkte Weg Inspiration-Agita-tion-Identifikation filtriert sich aus Instinkt und Wissen. Am Anfang steht die perzeptiv gesteuerte Inspiration mit ihren unkonkreten Denk- und Blickrichtungen. Emotion und Asso-ziation (Déjà-vu) agnostizieren punktuelle, geistige Bildfolgen (Visionen, Fiktionen), deren Verarbeitung (Denudation, Reflexion) die künstlerische Agitation beeinflußt. Über Reflexion und Denudation erreicht der Empfindungsweg schließlich die Identifikation, die wiederum eine Ausgangsposition für Ratio und Logik darstellt. Konstruktive, destruktive Elemente dienen als Grundlage der Beschreibung (Diktion) und Darstellung inhaltlicher Aspekte. Daraus erwächst die subjektive Erkenntnis und Sinnfrage des eigenen Tuns, die mit einer von Logik und Ratio beherrschten Erklärung zur Position und Definition endet. Das Ende wird zur Befreiung, wird zum Anfang - Perzeption und Empfindung beleben die Inspiration neu, wobei Wissen und Instinkt qualitativ motorisch wirken.



Banale Wirklichkeit

Arbeitstheoretische Systeme erlangen in ihrer Verbindung zur Außenwelt kognitiven Charakter. Die Perzeption wird zur hot-line zwischen Künstler und Wirklichkeit. Der Blick, der dem Ich leergeworden ist, entwickelt sich dabei aus der alltäglichen kommunikativen Vielfalt. Jene Vielfalt wirkt aufgrund ihrer dezisiven Wiederholungsstruktur gewöhnlich, belanglos, banal. Die Überfütterung der Sinne lähmt die Empfindungsebene und katapultiert Ausdrucks- und Selbstdarstellungsorte ins Hausgemachte der Medien. Jene liefern und artikulieren wiederum Bedarf und bauen ihre Wirklichkeiten immer eindeutiger ins private Umfeld. Der Rezipient verkommt zum Proband einer pulp fiction, deren Banalität und Uniformierung dessen Mimikry zelebriert. Die Selbstbehauptung gegenüber einer überkomplexen Umwelt wird so destruiert, input und output homogenisiert. Die Banalität des Umfeldes wird zum System, das System zur Wirklichkeit. In deren Programmierung entstehen Leerzeichen, Hohlräume, Un-Orte, die sich als chambre séparée verlorener Talente mehr und mehr in die Hand globaler Medien legen. Das Leben verkommt zum närrischen Spiel, zur Marotte. Inszenierte Wirklichkeit lockt mit melancholischer Raffinesse.



Perspektivische Wirklichkeit

Die Befreiung von universellen, konstruierten Sentiments erleichtert den Weg zur Perspektive. Standort und Blickrichtung beeinflussen dabei wahrnehmungstheoretische (sequenzanalytische) Denk- und Gefühlsmuster. Nach LUHMANN bauen sich jene Muster in die Welt, konstruieren sich und erschaffen einen Ist-Zustand, der zur Wirklichkeit wird. Die eigentliche Realität erscheint unwichtig und als solche abwesend. Solche systemtheoretischen Überlegungen (Systemtheorie) haben keinesfalls den Charakter geistiger Befriedigung - vielmehr liefern sie methodische Ansätze kognitiver Vernetzung. LUHMANN ("Die Realität der Massenmedien") erklärt damit die Mechanismen der modernen Gesellschaft. Selbst- und Fremdreferenz, Konstruktion und evolutionstheoretische Basis definieren darin die Gesellschaft von innen und beliefern die Konstruktion Kunst mit modellartigen Spielereien. Deren Subjekt-Objekt-Beziehung ist dabei immer wieder gefragt. Nach HABERMAS sind LUHMANNS systemtheoretische Überlegungen sogar rein subjektphilosophische Erbmassen. Die Gegenwartskunst entpuppt sich somit zum Wegbereiter philosophischer Inhalte und favorisiert anstelle einer aktuellen kommunikativen Vernunft subjektphilosophische Betrachtungen. Wirklichkeit und Unwirklichkeit liegen darin eng beieinander. Sie erheben das autonome Subjekt (Ich) zur künstlerischen Perspektive. Empfindung und Seele offenbaren sich somit als bloßes Scheinen durch das Ich (SCHLEGEL).
Trotz weiterführender Aspekte und Denkweisen posthegelianischer Aufklärungstrupps wird die Wirklichkeit immer ein Prinzip der Selbstreferenz, der Selbstbegründung und des Selbstausdruckes bleiben. Die Entropie der Leinwand richtet sich dabei nach dem, was das Ich als Wahrheit zur erfahren bereit ist.



Konzeptueller Raum

Die Aufforderung Take Roses belegt den Verführungscharakter unserer Alltagswelt und Konsumgesellschaft. Fragen nach Ethik, Sinn und Vernunft enden mit der bestechenden Kürze und Eindeutigkeit des take. Es stellen sich keine Fragen nach dem, was sich uns prostituiert. Ratlosigkeit über Sinn und Zweck des Einverleibten ist damit vorprogrammiert. Der eigentliche Wunsch spielt keine Rolle mehr. Er weicht einem konstruierten, globalen Wunschmenü, das sich uns universell im bundle anbietet. Der Umgang, die Anwendung, der Gebrauch sind sekundär. Das handling degeneriert zum Haben, Gebrauchsanwei-sungen werden überflüssig. Wir geben uns damit zufrieden, häufen an, horten, sammeln. Als neuzeitliche Jäger und Sammler nähren wir unsere existenzielle Bedarfslage aus dem Pool der trade marks.
Die verführerische Komponente des take macht es uns nicht leicht. Was fertig vorgesetzt wird, entbindet uns der Mühe individueller Gestaltung. Take wird zu consume und erlangt damit einen überaus passiven Charakter. Die Medien- und Konsumwelten quellen über vor fertiggestrickten Angeboten. In ihrer Hybris erklären sie uns zu unwiderstehlichen Ge-schöpfen und Halbgöttern über Ja und Nein. Die kaufmännische Sichtweise eines Soll und Haben interessiert dabei niemand. Gewinn und Verlust sind zwar numerisch faßbar, verstecken sich aber hinter inszeniertem Glamour. Der Konsument entmündigt sich damit selbst, wird bequem und verlernt selbstbestimmtes Handeln. Im Netz zwischen Angebot und Nachfrage verkümmert er zum berechenbaren Faktor.
Gleichwohl zeigt sich take als Geste metaphorischer Annäherung und Artikulation. Ein Etwas oder Jemand bietet sich uns an, will sich uns anvertrauen. Es entsteht der Wunsch nach Nähe, Immanenz und Vertrautheit. Ich möchte Teil eines Verhältnisses, einer Beziehung sein. Der Wunsch nach Nähe, Begegnung, Standort, Zugehörigkeit wird zum zentralen Anliegen eines von Prosperität und Marginalität gleichermaßen beherrschten ausklingenden 20. Jahrhunderts.
Ein wichtiger Ansatzpunkt konzeptueller Arbeit ergibt sich aus der Korrespondenz der Zeiterscheinungen mit deren additiver Faktizität. Daraus resultieren thematische Inspirationen und Definitionen. Das Thema liefert Grenzen konturierter Räume, die Enge, Spannkraft, Kontroverse und Dialektik hervorrufen. Geistig paralysierte Ebenen werden somit lebendig und verwandeln passives Konsumieren (take) in sektiererische Handlungsprozesse individueller, künstlerischer, endemischer Provenienz. Das Thema wird zum Apologet sinnlicher Wahrnehmung und Vertiefung.



Vereinnahmung und Definition

In der Gestaltung der Themen und Zyklen künstlerischer Arbeit entwickelt sich stets Hermetisches - etwas, in dem Ich sich schützt und bedingt. Jener endemische Raum ist das Bild. In ihm begegnen sich Aussage und Schweigen, Konstruktion und Chaos, Schein und Wirklichkeit. Die damit verbundene Gratwanderung zwischen Sein und Schein fördert das inhaltliche Konzept. Sie versteht sich als bewußt abgründige Konzentration auf die Person des Künstlers. Ich bin Roses und verhalte mich mir gegenüber wie Farbe zur Leinwand. Ich zeigt sich, proklamiert sich, macht sich deutlich - wenngleich in subjektiv empfindsamer, flüchtiger Weise (lost structures). Es erwehrt sich seiner Vereinnahmung von außen und kommuniziert durch bildnerischen Ausdruck: Figuren, Zeichen, Linien und Farbflächen transformieren zur Schrift, zur Mitteilungsform aktueller Kommunikation und ontologischer Betrachtungen.
Take Roses fordert den Betrachter auf, den Bildinhalt aus dem Bild zu nehmen. Was weggenommen wird, wird sichtbar, bewahrheitet sich durch seine imaginäre Abwesenheit und durch den Verlust seiner bildnerischen Kraft. Absurdes und Groteskes aktueller Denkweisen werden so zur Basis künstlerischer Umsetzung. In einer Zeit, in der uns die Logik vorauseilt, ist gerade dies ein globaler Ansatz des Verstehens. HEIDEGGERS Frage, warum es Etwas eher als Nichts gibt, liquidiert die inhaltliche Sinnfrage künstlerischen Arbeitens. Die Kongruenz zwischen Künstler und Werk, zwischen Roses und Ich, erleichtert dabei die poetische Gültigkeit des Seins.
Und somit nehme ich die Roses, nehme sie/mich als Zeichen der globalen Bestätigung und vielleicht sogar selbstgefälligen Bewunderung m/einer definierten Persönlichkeit.