Quai d’Honneur



Von Bernd Erich Gall


An der Treppe stand ein Einkaufswagen. Er war leer und verrostet. Sicherlich stand er schon Monate dort.

Ich befand mich im Café L’Arlequin, irgendwo am Quai d’Honneur und las in Auster’s „... Music of Change“.
Plötzlich erfasste ein Windstoß meine Kaffeetasse, und fegte sie kurzerhand vom Tisch. Sie landete auf hartem Basaltpflaster und zerbrach in tausend Scherben.
Die Bedienung reagierte sofort. Mit Kehrschaufel und Besen war der alte Zustand schnell wieder hergestellt: neue Tasse, neuer Inhalt. Ich bedankte mich, nahm einen winzigen Schluck und lehnte mich zufrieden zurück.

Als sich meine Blicke hinüber zur Treppe verirrten, bemerkte ich, dass der alte Einkaufswagen fehlte. Es kam mir so vor, als ob er sich - geschickt den Vorfall mit der Kaffeetasse abwartend - klammheimlich aus dem Staub gemacht hatte. Sicherlich gab es eine einfache Erklärung dafür. Irgendwie war ich darüber enttäuscht, als Beobachter der Szenerie, wie ein „Nichteingeweihter“ behandelt worden zu sein. Beleidigt wandte ich mich meinem Buch zu und versuchte, das Ganze zu vergessen.

Wie erstaunt war ich, als ich wenige Augenblicke später den Einkaufswagen an derselben Stelle wahrnahm, in gewohnter Weise, dort an der Treppe. Doch wie gesagt: sicherlich gab es eine einfache Erklärung dafür.

Seit jenem Ereignis hat sich die Art meines Sehen verändert. Ich traue den Bildern nicht mehr. Ich beobachte sie zwar aber aus sicherer Entfernung. Ob etwas an- oder abwesend ist, spielt für mich keine Rolle mehr. Was ich deutlich sehe ist das Ereignis, den Ablauf, den Vorgang, alles was sich bewegt, seine Zustandsform verändert. Der Rest sind Bilder im Bild, also abgelegte, konservierte Blicke einer Angst vor Vergänglichkeit.


Manchmal betrachte ich im Atelier meine Leinwände und schmunzle: Music of Change. Es wird Zeit, dass eine Tasse zerbricht, und womöglich mit ihr das gesamte Basaltpflaster am Quai d`Honneur.



Bernd Erich Gall: Malbuch eines Idioten. 2006 · © www@bernderichgall.de