Hurry Up, Harry! · A counterbalance against time or „the knife“



Von Bernd Erich Gall


Peter Seltenreich fühlt sich träge und hat allen Grund dazu. Die Mittagssonne raubt ihm die letzte Kraft, sein Whiskyglas steht neben ihm.

Das Landhaus liegt inmitten einer kleinen Lichtung. Schleppend bewegt er sich in Richtung Küche. Auf dem Herd meldet sich der Wasserkessel. Tee und Whisky - der Tag fängt gut an.
Langsam nimmt er den Kessel von der Herdplatte und stolpert zum Küchenschrank. Das Messer, eine vage Erinnerung an den gestrigen Tag.

Eine Lücke im Gedächtnis macht Angst, manifestiert aber einen Zugewinn an Unvorhersehbarem, so denkt er, und schlürft seinen Tee. Ein Blick aus dem Fenster lenkt ihn ab, er entscheidet sich für einen Spaziergang.

Die Aufforderung schneller zu gehen, sich dem Zeitablauf des Tages überzuordnen, ihm (wenn möglich) voraus zu sein, um sich nicht in ihm zu begraben, macht ihn schläfrig. Er dreht sich um, niemand, keine Menschenseele, das Übliche. I apologize for many inconvenience this may cause, flüstert ihm die Mittagssonne ins Ohr. Er nickt zufrieden und setzt seinen Weg fort.

An einer Lichtung begegnet ihm ein Spaziergänger, der raschen Schrittes und ohne zu grüßen an ihm vorübereilt. Vielleicht hat er mich übersehen, denkt Seltenreich, ist mir ganz recht so, denn eigentlich bin ich nur für mich selbst da. Gerade darin liegt das Gegengewicht der Zeit (counterbalance against time), philosophiert er, nur für mich selbst dazusein. Klingt etwas pathetisch, aber bei der Hitze ist er zu Tiefgründigerem nicht fähig. Trotzdem ist er mit der Ausbeute seines trägen Gedankenapparates höchst zufrieden - es handelt sich schließlich nur um Konzepte, den Rest erledigt ein anderer, vielleicht jener Spaziergänger, der es so eilig hat/te.

Wenn er eine Spur schneller ginge, wäre der Tag etwas länger, theoretisiert er gelangweilt, und setzt seine Schritte kräftiger. Die Gedanken werden allmählich klarer. An der nächsten Wegkreuzung bleibt er stehen, und er hat Angst vor diesem Moment, denn gerade jetzt und gerade dort weiß er, daß er wieder an derselben Stelle wie gestern angelangt ist - aber auch heute wird er seine Gedanken/das Messer dort nicht begraben. Er macht sich aus dem Staub und mit ihm der morgige Tag.


Text zu Video "Hurry Up, Harry! · A counterbalance against time or the knife" · 240 min · 2000
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