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They said it made the job more dangerous
Von Frank Wellhöner
"Was wir über unsere Gesellschaft wissen, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."
Mit dieser Zeitaussage eröffnete Niklas Luhmann 1994 seinen vielbeachteten Vortrag über die Realität der Massenmedien. Die Massenmedien sind Realität, d.h. sie sind die eigentlichen realitätsstiftenden Institutionen in der postmodernen Informationsgesellschaft. Sie erzeugen Realität, sie konstruieren Realität, sie inszenieren Realität.
Gewiß, über den Realitätsbegriff ließe sich streiten - ob er nun mit naturwissenschaftlichen Axiomen definiert oder mit philosophischen Kategorien erfaßt wird - ob er gesellschaftliche Normen und Traditionen beinhaltet, die über längere Zeiträume objektivierbare Realitäten gestiftet, festgeschrieben und verkörpert haben.
In der postmodernen Mediengesellschaft erüb-rigt sich eine solche Auseinandersetzung, weil die Massenmedien ihre subjektiven Realitäten erzeugen, die vom Empfänger ebenso rein subjektiv - weil nicht hinterfragbar - aufgenommen werden. Im übrigen haben diese, von den Medien inszenierten Wirklichkeiten keinen allzu langen Bestand, weil sie einem permanenten Wandel - je nach Bedarf - unterworfen sind. Das zeitlich begrenzte Erlebnis wird zur eigentlichen Realität, multimediale Erlebniswelten ersetzen zusehends zwischenmenschliche Beziehungen; soziale Welten gestalten sich virtuell.
Wenn die Aktualität der Kunst die Aktualität schlechthin ist, dann mußte und muß sich Kunst mit der Realität der Massenmedien auseinandersetzen.
Bereits Mitte der siebziger Jahre reagierten heute so namhafte Künstlerinnen und Künstler wie Ulrike Rosenbach, Klaus vom Bruch und Marcel Odenbach auf den Vormarsch der elekt-ronischen Medien und ihrer Veränderung alltäglicher Realitäten. Den sprunghaften Umbau zur Informations- und Mediengesellschaft sah diese im Umfeld eines Josef Beuys großgewordene Künstlergeneration schon damals in ihren ersten Videotapes voraus, aus denen sich heute längst überdimensionale Video-Rauminstallationen entwickelt haben.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem elektronischen Informationszeitalter verdichtete sich allmählich zum Konzept. Sie fand ihren Ansatzpunkt in den Medien selbst: Was längst zur Alltäglichkeit gehört: Telefon, Fernseher, Video, Faxgerät und Computer, alles wurde zur lebendigen Requisite, deren jeweils eigene Funktion, nämlich Geräusche, Klänge, Texte und bewegliche Bilder zu produzieren, neue Erleb-nisräume entstehen ließ. Damit war und wird der weitere Weg aktueller Gegenwartskunst festgelegt: Das Material wird der Alltäglichkeit abgetrotzt und künstlerisch aufbereitet.
Auch der Pforzheimer Künstler Bernd Erich Gall, Jahrgang 1956, gehört zum Kreis derer, die sich einer konzeptuell operierenden Kunst verpflichtet fühlen. Auch er sucht die Auseinan-dersetzung mit der Realität der Massenmedien. Er bezieht dabei aber ganz bewußt Leinwand, Farbe und Fundstücke in seine neuerlichen Installationsarbeiten ein. Leinwand, Farbe, Objekte, Video-, Raum- und Klanginstallationen einer vermeintlich pluralistischen Arbeitsweise identifizieren sich somit über das Konzept.
Die Zeit, der Zeitgeist, die Befindlichkeit des post-modernen Menschen zwischen dem Machbaren und der Orientierungslosigkeit, das gehetzte Umherirren in Raum und Zeit, der damit verbundene Verlust des Menschlichen und Zwischenmenschlichen, die Auflösung traditioneller Grenzen und Zuordnungen (anything goes) stehen im Mittelpunkt seiner Arbeiten. Die Gefahr jenes Nur-mit-sich-selbst-beschäftigt-seins läßt den Menschen zwangsläufig an seine eigene Grenzen kommen.
Die Schnelligkeit der Zeitimpulse reduziert kontemplative Momente. Sie einzufrieren, sie zu konservieren, ist ein Aspekt künstlerischer Arbeit... In jener Aussage Bernd Erich Galls (Katalogbeitrag zur Ausstellung) steckt der thematische Kern: Den Augenblick, das eigene Ich wahrzunehmen, sich nicht von den subjektiven Realitäten der Massenmedien fremdbestimmen zu lassen, seinen Standpunkt zu finden im Stimmengewirr der Zeit, darum geht es.
Die Bewegungsabläufe der Zeit läßt der Künstler nicht nur durch Videoinstallationen optisch erzeugen, sondern es gelingt ihm auch, sie auf die Leinwand durch Duplikation, Vervielfältigung und Multiplikation der Figuren im Vordergrund sichtbar zu machen. Die unbeweglichen Bilder haben den Vorteil, Bewegungs-abläufe auf das Wesentliche zu reduzieren. Im Vergleich zum wo-men-Zyklus der frühen 90er Jahre sind die Leinwände farbkräftiger geworden, aber insgesamt auch weicher. Die Formen reduzieren sich zunehmend - die Tendenz der Abstraktion wird spürbar.
Take roses erstreckt sich über drei große Erlebnisräume, die ihrerseits in kleinere Einhei-ten unterteilt sind. Ausgangspunkt der Ausstel-lung sind die ehemaligen Büroräume der Fabrik, in denen Bernd Erich Gall ausschließlich groß-formatige Leinwandarbeiten präsentiert.
Ein weiterer großer Kosmos erstreckt sich über vier verschiedene Rauminstallationen in den ehemaligen Lageräumen. Für diese Installatio-nen verwendet der Künstler auch orginale Materialien (objets trouvés) aus dem ehemaligen Ambiente: drei alte Stühle etwa (Three Chairs Of Kairo - Far from good old chair-money), die die Struktur unseres Kommunika-tionszeitalters allein durch ihre Raumposition widerspiegeln. Eine Küche (Kitchen-Knowledge - A tender study how to clean a kitchen) aus den 50er Jahren mit Lehrmitteln (Plakate) aus Schulen deutet die Grundfesten unserer Gesellschaft an, die durch den Einfluß der Massenmedien ins Wanken geraten sind - symbolisiert durch einen Elefanten im Video, der zeigt: How to clean a kitchen.
Eine weitere Rauminstallation (Camping) geht der Frage nach: Was ist Kunst? Die Antwort: Art means to surpass gravity: ein Linoleumboden, der an der Wand verläuft, ein altes Zelt und Camping-Utensilien, die sich fremd an der Wand positionieren. Die Videoinstallationen sind jeweils mit in die Rauminstallationen einbezogen. In Hurry Up Harry schlägt das Stimmen-gewirr der Zeit den Menschen erbarmungslos in die Flucht. Ein Messer (Chambre Séparée - The Knife) versucht gar die Zeit durch Drohgebärden aufzuhalten. Ein Büroraum (Only One - The clerks fruitless fight against movement) mit manuellem Lichtspiel (A case for Sir A.C. Doyle) und Diaprojektion beendet jenen Teil der Aus-stellung.
Durch einen Vorhang gelangen wir schließlich in den dritten großen Kosmos, der sich in der ehemaligen Fabrikationshalle erstreckt. Hier werden großformatige Leinwandarbeiten durch eine Assemblage von Objektinstallationen begleitet. Die Zeit [A Study Of Walking Through (The Rosery) I u. II] als ein Bündel von Vergan-genheit, Gegenwart und Zukunft, läuft durch den gegenwärtigen Menschen: Der junge Mensch hastet auf die Zukunft zu, der ältere versucht verbissen, die verlorene Zeit wiederzufinden. Mumifizierte Rosen an einem Grabstein (A Study Of Walking Through (The End) III) deuten auf das Ende des Weges, den die Zeit im Menschen, nicht der Mensch in der Zeit zurücklegt. Aus einem geschlossenen Koffer (Suitcase) ertönt die Stimme eines englischen Radiosen-ders: Der Mensch hat sich durch die Zeit jagen lassen und ist nie zu dem gekommen, was er eigentlich ist: Subjekt und Individuum.
Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Diesem kategorischen Imperativ Paul Klees ist Bernd Erich Gall mit seiner Ausstellung Take Roses sehr nahegekommen.
Zu den Leinwandarbeiten Bernd Erich Galls
Wahrhaftigkeit des Spontanen
Von Rudolf Wesner
lm Mittelpunkt der malerischen Arbeiten Bernd Erich Galls steht eine eigenwillige, gestische Figuration. Anatomische Genauigkeiten sind ihm unwichtig, weshalb er seine Gestalten überdehnt, verzerrt, dupliziert, multipliziert, sie somit verfremdet, entrückt und unwirklich erscheinen läßt. Gesichter verbleiben bewußt in einem Zustand des Unfertigen. Der Betrachter ist gefordert, sich in diese Welt mit skurril und obskur wirkenden Gestalten hineinzusehen, seine eigene Interpretation zu entwickeln.
Malen ist für mich etwas Spontanes, Gegen-wärtiges..., so Gall. Er trägt die Farben nicht mit dem Pinsel, sondern mit dem Spachtel auf. Dieses Verfahren ermöglicht es ihm, in der Farbe etwas von der ungestümen Spontaneität, mit der diese karg erscheinenden und doch so überaus lebendigen Bildkompositionen entstanden, sichtbar werden zu lassen. Der eigenartig herbe Ausdruck seiner Leinwandarbeiten wird zusätzlich von Lineatur-Elementen geprägt, die der Künstler einfügt, um die Kantigkeit und Aggressivität seiner Figuren deutlicher hervorzuheben. Gall schreibt selbst in einem Katalog über seine künstlerische Arbeit: Leitlinie meines malerischen Sprachvermögens ist der Mythos herber Schönheit, strenger Akzente, figürlicher Härte.
Seine Bilder fallen unter anderem wegen ihrer bizarren und zuweilen durchaus absurden Szenarien auf. Manches wirkt eher wie eine Karikatur über Erscheinungsformen und Verhal-tensweisen unserer Gesellschaft. Die kantigen, knochigen Gesichter und Körper werden zu Chiffren des von Erfolg und Wohlstand gekrönten, von Intellekt und Eros gleichermaßen begüterten Menschen, schreibt dazu Frank Wellhöner in einem Katalogbeitrag.
Um Ausdruck zu erreichen, entfaltet Gall nicht nur eine ganz eigenwillige Formensprache, er vermag auch durch eine an Patina erinnernde Farbenwahl, seine Werke wie aus einer längst vergangenen Epoche der Menschheitsge-schichte herrührend wirken zu lassen.
Aus einem differenziert farbigen Bildhinter-grund wächst für die Figuren und Gegenstände Schwerelosigkeit heran, die Gall als prägendes Element für seine Bilder konsequent nutzt. Gegenstände aus dem Alltag, häufig verfremdet wiedergegeben und scheinbar wahllos in die Bildkomposition integriert, entdeckt man im Umfeld der menschlichen Gestalten. Gerade das belegt die Wahrhaftigkeit des Spontanen.
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