der infant 99/2 · Zeitschrift moderner, aktueller Gegenwartskunst · Textbeiträge

The End Of The Iron Age · Datenrausch im Museum



Von Bernd Erich Gall

Der museale Raum als definierter Ort der Entfaltung aktueller Gegenwartskunst bietet der Redundanz irisierender Kommunikations- und Konsumwelten kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Mentale Verfaßtheit, Kontemplation, Schweigen, Etikette, Passivität, Konservierung, staatliche Räsonnements, Hierarchie, Repräsentation sind habituelle, immanente Positionen einer etablierten, staatlichen Museumslandschaft, deren schulmeisterliche Erziehungs-/Bildungs-/Doku-mentationsmuster sich hinter dem Modernismus des Kunstwerkes verbergen.

Die Disziplin „Kulturguterhaltung“ wurde den Museen von jeher staatlich verordnet - ein Stempel, der ihnen bis dato anhaftet. Bund, Länder, Städte und Gemeinden verfügen heute über ein Sammelsurium kunstmusealer Einrich-tungen (Museen, Kunsthallen, Galerien, Kunst-vereine), die strukturell eng an Politik und Ökonomie (besonders in Zeiten leerer Kassen) gebunden sind. Dem Kunstinteressierten werden repäsentierende Kunstkonstrukte geliefert, deren ideelle Betonung dem System „Kunst macht Kultur macht Bürger“ gehorchen. In letzter Konsequenz wird Kunst dazu benutzt (im Sinne einer camera obscura), die vermeintliche Subjektivität des Museumsbesuchers und die kulturpolitische Toleranz des Staates zur Schau zu stellen. Die Titulierung „individueller Kultur-bürger“ ermahnt jenen gleichsam zur Einhaltung seiner staatsbürgerlichen Pflichten (kodierte Verhaltensmuster). Auch die Rolle des Künstlers wird als conditio sine qua non festgeschrieben (reglementierte, inszenierte Begegnungen). Rezipient, Kunstwerk und Kunstraum stehen dabei in ungleichem Verhältnis. Es ergeben sich Positionierungsmuster (take one’s stand), die fast zwangsläufig die „Subordination“ des Betrachters/Kunstwerkes (Binom) hinsichtlich eines musealen Überbaus zur Folge haben. Rahmen und Form paralysieren Inhalte.

Jede Art der Präsentation wird auch zur Reprä-sentation. Etwas, das repräsentiert, steht nicht für sich selbst. Kunstwerk, Kunstevent und Kunstraum werden so zwangsläufig zum alias einer staatlich festgeschriebenen Kulturpolitik. Der Künstler als „Attentäter“ verkommt zum Repräsentanten gesellschaflicher Kulturzonen. Verstärkt wird dies durch Vergangenheitsfelder, die sich in aktuelle Kunstevents einschleichen. Ausstellen heißt, eine Nachschau liefern, heißt Historie zu plazieren. Das Aktuelle der Kunst, die Aktion, wird im musealen Raum eingefroren und konserviert. Die globale Informationsge-sellschaft verlangt jedoch nach agitatorischen, sektiererischen Orten außerhalb definierter Kunstbetriebe. Informations-, Migrations- und Konsumräume bieten in ihrer Alltäglichkeit neue, vielfältige Möglichkeiten der „Neuansiedlung“ (z.B: Internet). Alltagsorte werden so zu Kunstplätzen, auf denen sich Künstler und Rezipenten begegnen, um sich in ihren Rollen stets neu zu erfinden. Die damit verbundenen Positionswechsel sorgen für Enthierarchisie-rung, Entwertung, Enttabuisierung, Nivellement. Es entstehen vielschichtige Nutzbarkeiten: Haupt- und Nebensächliches potenzieren sich zum „Datenrausch“.

Die Welt der Medien, Waren und Musik bietet einen Raum funktionierender, enthierarchisierter, kaum reglementierter Systemfelder. Ob Phantasma oder nicht, einer überbordenden Sinnlichkeit oder einem programmatisch explikativen Kunstüberbau begegnen wir darin nicht. Die bewußte Selbstinszenierung und mimetische, geschwätzige Prostitution jener Welt depraviert die Gesellschaft in keiner Form, da sie sich als Causeur versteht, der „unterhält und beglückt“ - ohne Sendungsbewußtsein und Anspruch auf Kulturgutproklamation.

Zeitgenössische Kunsträume/-museen/-orte, die ephemere Kunstprodukte anstelle konservierter Kunstwerke plazieren, sind am Ende des 20. Jahrhunderts gefragt. Sie halten mit der Geschwindigkeit einer immer schneller pulsierenden Informationsgesellschaft Schritt. Der museale Raum als Atelier, als telegratisch-konvulsive, aleatorisch-dekonstruktive Produktions-stätte, hat das Zeug zum Apologeten einer neuen Chaosgesellschaft, deren Sinn und Unsinn sich in nichts unterscheiden als in der Abundanz ihrer Fehlversuche und Leerstellen.


Eine zwingende Notwendigkeit/Suffizienz aktueller Kunst ist es, den kategorischen Imperativ „Museen gehören ins Museum“ deutlich in die Vergangenheit zu entlassen.

der infant
Zeitschrift moderner, aktueller Gegenwartskunst
ISSN-Nr.: 1433-5492
Herausgeber:
dada-schriftenreihe · Herdeichen 11
75334 Straubenhardt · Tel./Fax: 0 70 82 - 41 53 09

Redaktion: A. M. Kunz, B. E. Gall
Erscheinungsweise: 2-3 Ausgaben/Jahr
Auflage: 2000

Verlagsort: Pforzheim
Gestaltung: dada-design; Umschlag: gall
Fotonachweis: dada-design, Pforzheim
© Fotos: Bernd Erich Gall u. VG Bild-Kunst, Bonn
Lithos und Druck: Alpha-Druckh., Pforzheim

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