Katalogtext · Austellung "Take Roses" · Bernd Erich Gall


Ausstellung in der Fabrik · Pforzheim 1997 · Katalog zur Ausstellung:
Take Roses

Von Frank Wellhöner

"Was wir über unsere Gesellschaft wissen, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."

Mit dieser Zeitaussage eröffnete Niklas Luhmann 1994 seinen vielbeachteten Vortrag über die Realität der Massenmedien. Die Massenmedien sind Realität, d.h. sie sind die eigentlichen realitätsstiftenden Institutionen in der postmodernen Informationsgesellschaft. Sie erzeugen Realität, sie konstruieren Realität, sie inszenieren Realität.
Gewiß, über den Realitätsbegriff ließe sich streiten - ob er nun mit naturwissenschaftlichen Axiomen definiert oder mit philosophischen Kategorien erfaßt wird - ob er gesellschaftliche Normen und Traditionen beinhaltet, die über längere Zeiträume objektivierbare Realitäten gestiftet, festgeschrieben und verkörpert haben.

In der postmodernen Mediengesellschaft erüb-rigt sich eine solche Auseinandersetzung, weil die Massenmedien ihre subjektiven Realitäten erzeugen, die vom Empfänger ebenso rein subjektiv - weil nicht hinterfragbar - aufgenommen werden. Im übrigen haben diese, von den Medien inszenierten Wirklichkeiten keinen allzu langen Bestand, weil sie einem permanenten Wandel - je nach Bedarf - unterworfen sind. Das zeitlich begrenzte Erlebnis wird zur eigentlichen Realität, multimediale Erlebniswelten ersetzen zusehends zwischenmenschliche Beziehungen; soziale Welten gestalten sich virtuell.
Wenn die Aktualität der Kunst die Aktualität schlechthin ist, dann mußte und muß sich Kunst mit der Realität der Massenmedien auseinandersetzen.
Bereits Mitte der siebziger Jahre reagierten heute so namhafte Künstlerinnen und Künstler wie Ulrike Rosenbach, Klaus vom Bruch und Marcel Odenbach auf den Vormarsch der elekt-ronischen Medien und ihrer Veränderung alltäglicher Realitäten. Den sprunghaften Umbau zur Informations- und Mediengesellschaft sah diese im Umfeld eines Josef Beuys großgewordene Künstlergeneration schon damals in ihren ersten Videotapes voraus, aus denen sich heute längst überdimensionale Video-Rauminstallationen entwickelt haben.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem elektronischen Informationszeitalter verdichtete sich allmählich zum Konzept. Sie fand ihren Ansatzpunkt in den Medien selbst: Was längst zur Alltäglichkeit gehört: Telefon, Fernseher, Video, Faxgerät und Computer, alles wurde zur lebendigen Requisite, deren jeweils eigene Funktion, nämlich Geräusche, Klänge, Texte und bewegliche Bilder zu produzieren, neue Erleb-nisräume entstehen ließ. Damit war und wird der weitere Weg aktueller Gegenwartskunst festgelegt: Das Material wird der Alltäglichkeit abgetrotzt und künstlerisch aufbereitet.
Auch der Pforzheimer Künstler Bernd Erich Gall, Jahrgang 1956, gehört zum Kreis derer, die sich einer konzeptuell operierenden Kunst verpflichtet fühlen. Auch er sucht die Auseinan-dersetzung mit der Realität der Massenmedien. Er bezieht dabei aber ganz bewußt Leinwand, Farbe und Fundstücke in seine neuerlichen Installationsarbeiten ein. Leinwand, Farbe, Objekte, Video-, Raum- und Klanginstallationen einer vermeintlich pluralistischen Arbeitsweise identifizieren sich somit über das Konzept.
Die Zeit, der Zeitgeist, die Befindlichkeit des post-modernen Menschen zwischen dem Machbaren und der Orientierungslosigkeit, das gehetzte Umherirren in Raum und Zeit, der damit verbundene Verlust des Menschlichen und Zwischenmenschlichen, die Auflösung traditioneller Grenzen und Zuordnungen (anything goes) stehen im Mittelpunkt seiner Arbeiten. Die Gefahr jenes Nur-mit-sich-selbst-beschäftigt-seins läßt den Menschen zwangsläufig an seine eigene Grenzen kommen.
Die Schnelligkeit der Zeitimpulse reduziert kontemplative Momente. Sie einzufrieren, sie zu konservieren, ist ein Aspekt künstlerischer Arbeit... In jener Aussage Bernd Erich Galls (Katalogbeitrag zur Ausstellung) steckt der thematische Kern: Den Augenblick, das eigene Ich wahrzunehmen, sich nicht von den subjektiven Realitäten der Massenmedien fremdbestimmen zu lassen, seinen Standpunkt zu finden im Stimmengewirr der Zeit, darum geht es.
Die Bewegungsabläufe der Zeit läßt der Künstler nicht nur durch Videoinstallationen optisch erzeugen, sondern es gelingt ihm auch, sie auf die Leinwand durch Duplikation, Vervielfältigung und Multiplikation der Figuren im Vordergrund sichtbar zu machen. Die unbeweglichen Bilder haben den Vorteil, Bewegungs-abläufe auf das Wesentliche zu reduzieren. Im Vergleich zum wo-men-Zyklus der frühen 90er Jahre sind die Leinwände farbkräftiger geworden, aber insgesamt auch weicher. Die Formen reduzieren sich zunehmend - die Tendenz der Abstraktion wird spürbar.
Take roses erstreckt sich über drei große Erlebnisräume, die ihrerseits in kleinere Einhei-ten unterteilt sind. Ausgangspunkt der Ausstel-lung sind die ehemaligen Büroräume der Fabrik, in denen Bernd Erich Gall ausschließlich groß-formatige Leinwandarbeiten präsentiert.
Ein weiterer großer Kosmos erstreckt sich über vier verschiedene Rauminstallationen in den ehemaligen Lageräumen. Für diese Installatio-nen verwendet der Künstler auch orginale Materialien (objets trouvés) aus dem ehemaligen Ambiente: drei alte Stühle etwa (Three Chairs Of Kairo - Far from good old chair-money), die die Struktur unseres Kommunika-tionszeitalters allein durch ihre Raumposition widerspiegeln. Eine Küche (Kitchen-Knowledge - A tender study how to clean a kitchen) aus den 50er Jahren mit Lehrmitteln (Plakate) aus Schulen deutet die Grundfesten unserer Gesellschaft an, die durch den Einfluß der Massenmedien ins Wanken geraten sind - symbolisiert durch einen Elefanten im Video, der zeigt: How to clean a kitchen.
Eine weitere Rauminstallation (Camping) geht der Frage nach: Was ist Kunst? Die Antwort: Art means to surpass gravity: ein Linoleumboden, der an der Wand verläuft, ein altes Zelt und Camping-Utensilien, die sich fremd an der Wand positionieren. Die Videoinstallationen sind jeweils mit in die Rauminstallationen einbezogen. In Hurry Up Harry schlägt das Stimmen-gewirr der Zeit den Menschen erbarmungslos in die Flucht. Ein Messer (Chambre Séparée - The Knife) versucht gar die Zeit durch Drohgebärden aufzuhalten. Ein Büroraum (Only One - The clerks fruitless fight against movement) mit manuellem Lichtspiel (A case for Sir A.C. Doyle) und Diaprojektion beendet jenen Teil der Aus-stellung.
Durch einen Vorhang gelangen wir schließlich in den dritten großen Kosmos, der sich in der ehemaligen Fabrikationshalle erstreckt. Hier werden großformatige Leinwandarbeiten durch eine Assemblage von Objektinstallationen begleitet. Die Zeit [A Study Of Walking Through (The Rosery) I u. II] als ein Bündel von Vergan-genheit, Gegenwart und Zukunft, läuft durch den gegenwärtigen Menschen: Der junge Mensch hastet auf die Zukunft zu, der ältere versucht verbissen, die verlorene Zeit wiederzufinden. Mumifizierte Rosen an einem Grabstein (A Study Of Walking Through (The End) III) deuten auf das Ende des Weges, den die Zeit im Menschen, nicht der Mensch in der Zeit zurücklegt. Aus einem geschlossenen Koffer (Suitcase) ertönt die Stimme eines englischen Radiosen-ders: Der Mensch hat sich durch die Zeit jagen lassen und ist nie zu dem gekommen, was er eigentlich ist: Subjekt und Individuum.
Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Diesem kategorischen Imperativ Paul Klees ist Bernd Erich Gall mit seiner Ausstellung "Take Roses · They said it made the job more dangerous" sehr nahegekommen.