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Sheet To Wind · How to prevent a suicide (in the season of autumn)
Von Bernd Erich Gall
Das Spiel eignet sich besonders für Stadtkinder, denn es kann nur in der Nähe eines großen Bahnhofes (genauer: an der Balustrade eines über eine größere Anzahl von Schienen reichenden Bahnübergangs) durchgeführt werden. Ein reger Zugverkehr und die Jahreszeit des Herbstes sind von Vorteil, denn jeder vorbeifahrende Zug eröffnet eine neue Spielrunde, besonders unter den günstigen Windverhältnissen eines September- oder Oktobermonats.
Anmerkung: Wer sich während des Spiels zu weit über die Balustrade hängt, gefährdet den Spielverlauf, da tödliche Unfälle in der Regel zum Spielabbruch führen.
Zufällige Begegnungen mit Selbstmördern, die besagten Ort mit signifikanter Häufigkeit aufsuchen, sind anfangs zu vernachlässigen - nur anfangs, nicht im fortgeschrittenen Spielverlauf.
Durchführung: Mehrere Spieler/innen stellen sich entlang der Balustrade der Bahnüberführung auf. Jeder hält einen Stapel Papierblätter in der Hand, der sich in seiner Farbgebung von Spieler zu Spieler unterscheidet. Während des gesamten Spielverlaufs ist somit eine eindeutige Zuordnung zwischen Spieler/innen und Blatt gewährleistet.
Jetzt heißt es warten bis ein Zug kommt. Ein Zug, der sich von hinten nähert und sich unterhalb der Brücke in das Beobachtungsfeld der Spieler/innen hineinbewegt, eröffnet die Spielrunde.
Die Spieler/innen dürfen jetzt eines ihrer Blätter über die Balustrade werfen - bevor oder während der Zug vorbeifährt. Gewonnen hat der, dessen Blatt durch den Fahrtwind am weitesten mitgetragen/-gerissen/-gewirbelt wird. Maßgeblich für die Weite ist der Ort der ersten Bodenberührung. Blätter, die sich im Zug verfangen und mit ihm auf und davongehen, sind als Volltreffer zu werten.
Peter Korns Schlußbetrachtung: So mancher Selbstmörder wird aufgrund des unnatürlichen Umtriebs der Spielenden von seinem Vorhaben abgebracht. Selbstmörder, die ihren Tod auf Schienen oder im Sprung von Bahnüberführungen suchen, sind in der Regel an ihrem Gesichtsausdruck zu erkennen. Es ist nicht falsch, sie beiläufig ins Spielgeschehen mit einzubeziehen - als Mitspieler, Schiedsrichter, Blatteinsammler. Gerade dadurch wird ihnen vermittelt, gebraucht zu werden. Sie erfahren hautnah, wie einfach es sein kann, sich dem Leben in kindlicher, spielerischer Weise zu nähern und daß, auch wenn bunte Blätter fallen, ihr letzter Herbst noch lange nicht begonnen hat.
Text zu Objekt 323: Sheet To Wind, 1998 · Collagierte Papierhandtücher, Binder, Draht, Schnur, Holz · 13 x 9 x 48 cm · © www.bernderichgall.de
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