Bernd Erich Gall: wo-men II. A look that´s fine and dandy. - Katalog,
4-farb., 42 S., 1995.

Flimmernde Sequenzen



Zur Dialektik meiner Leinwandarbeiten ·

Von Bernd Erich Gall

Formales und Inhaltliches meiner Arbeiten kristallisieren aus einer eigentümlichen, subjek-tiven, sinnlichen Befindlichkeit, deren gestalterische Umsetzung im Konzeptionellen (wo-men) gründet. Der Widerstreit zwischen medialer Enge und Verschlissenheit einerseits und provozierendem Neuland (anything goes) andererseits, beeinflußt das Konzept und versucht es, mit archetypischen Zeichen zu belegen. In seiner gegenwärtigen Konsequenz wird die Mo-torik auf der Leinwand somit zum rhythmischen Addizieren rasanter Erlebniswelten, die in ihrer letzten Konsequenz nach Verewigung schreien. Gerade in diesem Punkt ist das künstlerische Ego gefragt, und gerade dort sehe ich als Maler einen exponierten Standort inhaltlicher Kontemp-lation. In einer Zeit kurzer, flimmernder Erlebnisse und Sequenzen ist der gefragt, der einfängt, entschlüsselt und nach frappanten Einzelbildern Ausschau hält. Die Bereitschaft zur beziehungs-losen Selbstentblößung verleiht dem Maler gerade an jenem Ort eine dynamische Spannkraft. Dort, wo Ereignisse sich überschlagen, Sequenzen sich überlagern und Sekundenbilder sich pro-stituieren, entsteht ein Panoptikum der Gesellschaft, deren Erscheinungswelt nach bewußt sub-jektiver Darstellung schreit.

Das übergeordnete Seinsempfinden (Instinkt ist zehnmal mehr als Wissen, Nolde) bestimmt in meinen Arbeiten den Bildorganismus und verschreibt sich dem Figürlichen - dem Mythos herber Schönheit. Das künstlerische Bewußtsein orientiert sich am Sichtbaren, befragt die Gefühlswelt und gestaltet somit in einer Art Verselbständigung den malerischen Grund. Die Bestimmtheit der Linie, die pastose Farbflächenordnung und die Inszenierung der Figuren erzeugen verschiedene Betrachtungsebenen, die in ihrer Gegenüberstellung althergebrachte Wertvorstellungen ad ab-surdum führen. So bedingen Morbidität und Sexus wegen ihrer konventionellen, widersprüch-lichen Charaktere ein um so engeres Verhältnis und durchwandern in Abhängigkeit von Bild- und Betrachtungsebene eine Meta-morphose hin zur ästhetischen Zweisamkeit. Rauhe, kühle, kno-chige, leichenblasse Weiblichkeit neben avantgardistischer, zur Schau gestellter Eleganz werden entlang jener Konsequenz zur un-abdingbar mystifizierenden Ein-heit.
Eingebettet in Alltagsacces-soires und schwerelose Hinter-grundbildebenen verlieren Ethik, Moral und Ästhetik an Wert und sind hilflos den Gezeiten sub-jektiver Empfindungen ausgelie-fert. Groteske, absurde Szenarien spielen sich nun ganz von selbst ab. Sie hinterlassen im Wider-streit der Bilder (im Bild) einen zumindest reproduzierbaren Ein-druck. Auflösung, Verzerrung und Überlängung der Form einer-seits, zerrissene haptische Farb-flächen andererseits, unterstützen das ungewohnte Nebeneinander und implizieren in ihrer Gesamt-heit einen kleinen und doch gren-zenlosen Mikrokosmos an Vor-stellungen, mit denen Maler und Betrachter inhaltlich kommuni-zieren.

In meinen zyklischen Arbeiten, die innerhalb eines definierten thematischen Nebeneinanders und zeitlichen Hintereinanders entstehen, erfolgt die konzeptionelle Konzentration durch sub-lime, filigrane, epochale Applikationen. Die Spannkraft zwischen themenbezogener Verhaftung und künstlerischer Unbestimmtheit und Freiheit liefert den Gradient des Werkes. Authentisches verdrängt dabei Artifizielles und ebnet damit den Weg zur eigenen, individuellen Ernsthaftigkeit - als Grundlage jeglicher künstlerischer Auseinandersetzung und Wirkungskraft. Malen hat für mich in seiner Gesamtheit einen eindeutig deduktiven Charakter (ad oculos - ad notam). Jedoch erscheint sein sublimer, kognitiver Selbsterfahrungscharakter als Machwerk einer vor Selbst-erkenntnis strotzenden Gegenwart.
In der Auseinandersetzung zwischen Künstler und Werk wird das Erlebte zur Reflexion. Erinnerungen wecken Bilder und Bilder wiederum Erinnerungen. Daraus entsteht fast zwangsläufig die für die künstlerische Standortbeschreibung wichtige sinnliche Präsenz des Kunstschaffenden und seiner Arbeit. Er wird sich seiner Existenz bewußt, nimmt sich in seiner Kunst wahr und behauptet sich allein durch die Existenz seiner Person und seines Werkes. Die Sensibilisierung des eigenen Ichs und seines Umfeldes bedingt eine sublime Betrachtungs- und Verständnisweise komplexer Zusammenhänge gesellschaftlicher Mechanismen, die wiederum das künstlerische Ego und dessen Ruf nach Selbstverständnis provozieren. Die Umsetzung seiner Geistes- und Gefühlswelt ist dann etwas fast Selbstverständliches, wenn nicht Zwanghaftes. Malen heißt machen, heißt umsetzen, sublimieren, redigieren. In Obstruktion zur neuzeitlichen Philosophie entstehen geist- und wortfremde Ebenen der Verarbeitung und Durchdringung. Die gedankliche Auseinandersetzung findet letztlich auf malerischem Grund und nicht in Sprache und Schrift statt. Das Bild erlangt dadurch eine ganz besondere und eigentümliche Mitteilungskraft: Kognition filtriert sich aus der evozierenden Kohärenz zwischen Ursache, Wirkung, Verarbeitung und Ausführung eines Gefühls oder Gedankens.

Leitlinie meines malerischen Sprachvermögens ist der Mythos herber Schönheit, strenger Ak-zente und figürlicher Härte. Jene Attribute sind archetypische Bestandteile eines thematischen Konzepts, dessen letzte Konsequenz die Frage (wo - men ?) nach der künstlerischen Existenz bedeutet. In all den Jahren meiner künstlerischen Arbeit ist es mir nie gelungen, mich "eindeutig" zu fühlen. Zweifel, Unsicherheit und Chaos waren und sind stetige Begleiter meines Wirkens. Und so - wie vieles Vertraute - habe ich sie längst liebgewonnen.