Bernd Erich Gall: wo-men II. A look that´s fine and dandy. - Katalog,
4-farb., 42 S., 1995.


Eine kunstgeschichtliche Erinnerung

Frauenbilder



Von Ulrike Rein

Wer den Blick zurück in die Kunstgeschichte wendet, dem begegnen dort im frühen Anfang zunächst Göttinnen: die Venus von Willendorf und die Göttin auf dem Leopardenthron aus Catal Hüyük. Ihre mächtig gerundeten Leiber und Schenkel bezeichnen die Fruchtbarkeit, die sie spenden, und das Leben, das sie hervorbringen. Es sind kleine rundplastische Figuren aus Ton, die in den Nanas der Niki de Saint Phalle ins Riesenhafte vergrößert und mit leuchtend bunten Farben bemalt wieder in unsere Zeit Einzug gehalten haben. Damit kehrt das Frauenbild zu einer eindeutig positiven Kraft zurück, die es aber im Laufe der Geschichte und auch heute noch weitgehend entbehrt.

Auch in der griechisch-römischen Antike führen Göttinnen den Reigen der Frauenbilder an, Venus vor allen anderen, aber auch Diana, Persephone, Demeter, Hera und Athene. Ihnen folgen die ins Schicksal der Götter eingebundenen menschlichen Frauen, außer ihnen noch Koren und Vestalinnen, heilige Jungfrauen, die oft tanzen und musizieren. Sie alle bezaubern durch die vollkommene Schönheit ihrer leibhaftigen Erscheinung. Spontan und selbstverständlich stehen sie noch heute vor uns - ganz Körper und Seele zugleich. Sei es in Ruhe oder bewegt, sei es gewandet oder nackt, diese Körper leben aus fließenden Linien, aus gesättigten Rundungen und gelöster Spannung. Die Gestalten der antiken Welt verkörpern für die abendländische Kunst-geschichte nicht durchgängig, aber immer wieder das ideale Bild der Frau.

Leib und Geist hörten auf, eine Einheit zu sein, mit dem Eintritt des Christentums in die Geschichte der Kunst. Das Körperliche verlor seine Unschuld, und das betrifft besonders das Bild der Frau. Es spaltet sich in das Bild der göttlichen Jungfrau Maria und in das des teuflischen Weibes, der Hexe. Maria, die reine Magd, sie ist der Thronsitz des Mensch gewordenen Gottes-sohnes. Sie hält das heilige Kind in ihrem Arm, neigt ihr Haupt in demütiger Gebärde des Gehorsams. Sie ist die neue Eva; und während die alte Eva in Sünde und Schuld fällt, bleibt die Marie-Eva rein von alledem und - körperlos. Das heißt ihr Körper schwindet ins Geheimnis der romanischen Flächen, verschwindet später unter den prachtvollen Strömen und Aufhäufungen der Falten gotischer Gewänder. Nur ganz vereinzelt, etwa in der Heimsuchungsgruppe von Reims oder dem Straßburger Marientod klingt noch ein Rest antiken Erbes nach und damit auch das Innewerden eines verklärungswürdigen Leibes.

Das Gegenbild der Maria ist entweder die Seherin in der Gestalt der Elisabeth und der Hanah oder der Hexe. Die greise Seherin hat zwar keine Schönheit mehr, wie sie zur Jugend Mariens gehört, aber es bleibt ihr als Ausdruck der prophetischen Gabe eine geschlechtslose Würde. In-dessen versinkt die Hexe in Schamlosigkeit, sei sie nun jung oder alt. In den Hexenbildern des Hans Baldung Grien feiern die Hexen - nackt und mit fliehendem Haar auf Besen reitend - ihren teuflischen Tanz, oder sie haben sich einen Mann - den Philosophen Aristoteles - unterworfen und als Reittier dienstbar gemacht.

Hexe und Maria, sie bedingen sich gegenseitig; denn die eine ist sowenig natürliche Frau wie die andere. Genauso bedingen sich die künstlerischen Erscheinungsbilder. Die Hexen versehen alles Körperliche und insbesondere die Schönheit des Nackten mit dem Stigma des Bösen, ersichtlich an wild ausfahrenden Gebärden und wirbelnder Unruhe. Das Bild Mariens aber entzieht die jungfräuliche Mutter in die unnahbare Unschuld des Körperlosen, indem es ihre Gestalt verhüllt und oft genug nur Kopf und Hände sehen läßt. Marias Schönheit ist die eines jungen Mädchens, das Stille mit Anmut und Nachdenklichkeit mit einem Lächeln verbindet. Süß und herb zugleich erscheint sie als Mutter und Göttin, gekrönt von der Hand der Engel oder gar ihres Sohnes, der sie schmückt wie eine Braut. Auch heute noch sind die Bilder besonders gegen-wärtig, die Maria mit dem Rosenhag umgeben (Stephan Lochners Mutter Gottes in der Rosenlaube und Martin Schongauers Maria im Rosenhag). Beide gehören ins 15. Jahrhundert. Im selben Jahr entstand auch der Hexenhammer, eine Schrift, die zur Verbreitung des Hexenwahns entscheidend beitrug.

Südlich der Alpen, in Italien, begann mit den bildhauerischen Arbeiten der Pisani und der Malerei Giottos auch für das Bild der Frau ein anderes Zeitalter. In Pisa, Perugia, Siena, Padua und Florenz entstanden Frauenbilder von unmittelbar gegenwärtiger Leibhaftigkeit - bestimmt und klar hervortretend in großer, geradezu urbildhafter Gebärde. Das Heilige (auch Maria) wurde Fleisch, zumindest Bild vollkommener Schönheit, die zugleich das Heiligende war. Neben dem Bild der Madonna werden seit der Renaissance auch die großen Geliebten gemalt - ebenso schön, ebenso vollkommen, ebenso göttlich. An Raffael, Leonardo und Tizian sei hier erinnert, beson-ders aber an Tizians Bild der Himmlischen und irdischen Liebe. Darin verkörpern zwei Frauen-gestalten die Liebe. Eine von ihnen trägt das kostbar glänzende Gewand irdischer Prachtfreude. Die andere, die himmlische Gestalt, bedarf solcher Hüllen nicht. Vor dem natürlichen Schimmern ihres Leibes verblaßt der schöne Schein der Mode.
Während des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit entsteht das Portrait und damit neben dem idealen Bild eins, das sich der Treue zur Wirklichkeit - sogar bis zum Häß-lichen - verpflichtet zeigt. Giorgiones "Vecchia" und Dürers "Mutter" sind , bezogen auf Frauen-bilder, vielleicht die bekanntesten. Aber zu erinnern ist hier vor allem an die Bildkunst der Flamen und Niederländer, zuerst vertreten durch Rogier van der Weyden und Jan van Eyck. In der niederländischen und flämischen Kunst wendet sich die Kunst immer entschiedener dem Alltäglichen zu und damit auch den Frauen, die mitten in der Welt, in Arbeit und Vergnügen ihren Platz behaupten. Die flämisch-niederländische Malerei bringt Frauenbilder hervor, die weder Heilige noch Hexen zeigen, sondern ganz normale Menschen, tüchtige Frauen ihrer Männer. Auch hier sei eine besondere Erinnerung eingebracht: die an die "Küchenmagd" des Jan Vermeer van Delft. Das Thema des Bildes ist einfach. Eine Frau steht am Tisch und gießt Milch in die Schale. Auf dem Tisch liegt außerdem noch etwas Brot. Ebenso einfach wie die Handlung, aber ebenso elementar ist der Farbklang: Gelb und Blau, dazu Rot, Grün und Weiß. Die Frau ver-körpert konzentrierte Ruhe und eine selbstverständliche Hingabe an ihr Tun. Wie in der Stille eine große Fülle liegen kann, so belebt sich diese Ruhe mit malerischem Reichtum und wohl auch mit Bedeutung. Diese Frau in aller in sich versunkenen Selbstgenügsamkei ist eine große Nährende. Sie ist keine Göttin, aber sehr verbunden mit dem Ursprünglichen, dem Uranfäng-lichen, dem Urbildlichen.
Trotz solcher Beispiele bleibt - aufs Ganze des Themas gesehen - die Spannung zwischen der vergöttlichten und der als bedrohlich erlebten Frau tonangebend. Das gilt insbesondere für die Bildschöpfungen Pablo Picassos, unter denen die 1906/07 entstandenen Demoiselles d´Avignon einen besonderen Rang innehaben. Diese Demoiselles, auch als Dirnen von Avignon bezeichnet, stellen sich zur Schau und bannen den Blick des Betrachters mit weit aufgerissenen Augen. Indessen - sie versprechen nicht das Vergnügen eines Liebesabenteuers. In ihnen begegnen sich vielmehr fast panisches Entsetzen und tiefe, ursprüngliche Angst vor der bête humaine. Die Ge-sichter zweier dieser Frauen ähneln auch mehr denen von Affen als denen von Menschen. Die fünf Frauen stehen dicht gedrängt vor oder in einem überaus unruhigen, flackernden Grund, sie selbst auf kubistische Weise "deformiert". Das Stilmerkmal wird dabei zur Ausdrucksgebärde der Fremdheit. Fremdheit bedeutet aber nicht Ferne, sondern sie rückt hier in die distanzlose Nähe einer gänzlich unvermittelten Präsentation. Das heißt: Picasso füllt sein Bild bis an den Rand mit seinen Figuren. Es bleibt kein Raum, kein Vordergrund, der verlangen würde, sich zu nähern oder Distanz zu halten.

Die amerikanische Pop-art zeigt die Frau vielfach zum Gegenstand der Konsumgesellschaft reduziert. Sie wird Droge, Statussymbol, Sexualobjekt. Sie verliert im Wortsinn ihr Gesicht, was Tom Wesselmann mit der Great American Nude besonders eindrucksvoll zeigt. Es bleiben nur Mund und Haare, die zusammen mit der prallen, nackten Brust eindeutig sexuellen Signalcharak-ter erhalten. Als Accessoires sind beigegeben: Nikotin, Hygiene und Vitamine, eine qualmende Zigarette, Kleenex und eine das Paradies versprechende Orange - alles klar voneinander in komplementären Kontrasten abgehoben, steril und verkommen zugleich. Nicht nur namenlose Frauen, auch oder besonders die großen Stars werden in eine solche Maske gezwängt und darin festgehalten, wie Liz Taylor oder Marilyn Monroe unter der kennzeichnenden Regie von Andy Warhol.

"Und ewig lockt das Weib...", aber es zieht nicht mehr hinan, wie bei Goethe, sondern es reizt auf und will - Lockung und Gefahr in einem - erobert werden. La Naissance de Vénus des Franzosen Alain Jacquet versieht die Pop-art mit einer europäischen Note. Jacquet greift zurück auf Botticellis Venus, die sich, auf einer Muschel stehend über Wasser dem Land nähert. Die Muschel, Firmenzeichen des Shell-Konzerns, beschwört die Zapfsäule einer Shell-Tankstelle herauf, deren Bild sich über die Venus legt. Venus als Zapfsäule mit Einfüllstutzen und einem Schlauch, der unwillkürlich an die Nabelschnur erinnert. Er liefert die essence, ein Wortspiel um das Wesentliche. Und er macht Abhängigkeit bewußt.

Die Frau als die große Nährende, Spenderin von Lebensenergie - immer wieder wird sie in dieser Rolle gesehen, verehrt, gefürchtet, geliebt und erfahrbar gemacht - last not least durch Hon - en katedral (Sie - die Kathedrale), das große Ausstellungsobjekt der Niki de Saint Phalle im Stockholmer Museum von April bis Juli 1966, eine riesige, begehbare Frauenfigur, Eingang zwi-schen den gewaltigen Schenkeln in einen Leib, der zum Verweilen einlud. Diese Riesenfigur schließt den Kreis der hier betrachteten Frauenbilder mit der Rückbindung an die Göttin aus Catal Hüyük. Ob diese ganz frühe Plastik auch dem Gestaltungswillen einer Frau zu danken ist, weiß niemand. Die meisten Frauenbilder sind aber von Männern gemacht, nicht nur die meisten der hier besprochenen. Folglich bezeugen sie den männlichen Blick, der über sie entscheidet. Für diesen männlichen Blick wurden hier einige (längst nicht alle und vor allem nicht die, die Frauen als Leidende zeigen) Charakteristika genannt. In das Spektrum der ausgewählten Frauenbilder bringen sich die Arbeiten Bernd Erich Galls mit der Frage oder Feststellung ein: WO-MEN. Sie geben zugleich eine beunruhigende Antwort.