Bernd Erich Gall: wo-men II. A look that´s fine and dandy. - Katalog,
4-farb., 42 S., 1995.



Von der archetypischen Befindlichkeit im künstlerischen Kosmos

Basic-Instinct



Von Frank Wellhöner

Entfremdung, Identitätsverlust und Beziehungslosigkeit des Menschen der Postmoderne kristallisieren die thematische Malerei Bernd Erich Galls. Wo-men - die Variante mit Bindestrich ist Programm und verbaler Schlüssel zum künstlerischen Kosmos des Malers. Der Mann am Spinnfaden des ewig Weiblichen - angezogen und abgestoßen zugleich.
In seiner Figuration dominieren strenge, kantige, arrogant bis verächtlich wirkende triumphie-rende Frauengestalten (Trite-Theatre-Trippers), die bisweilen zu androgynen Wesen verschmel-zen (She Hasn´t Got A Hip). Alte Grenzen sind gefallen, festgefügte Traditionen ins Wanken geraten, klare Unterscheidungskriterien haben sich aufgelöst und verlegen die Spurensuche (Women-Walk) über alte, festgefahrene Grenzen hinweg. In den hinteren Bildebenen scheint die Schwerkraft aufgehoben. Starre, eingefrorene Körper widersprechen den Naturgesetzen und ste-hen Kopf. Eine minimalisierte Gegenständlichkeit hängt bedrohlich in der Luft: Tassen, Teller, Messer und Gabel, sie verleugnen die Schwerkraft (Kiss).

Gall beobachtet und analysiert auf sensible Weise den Zeitgeist des postmodernen way of life und hinterfragt dabei die Befindlichkeit des Menschen der nachindustriellen Epoche. Alles, was dieser Mensch als Fortschritt, Freiheit und Enttabuisierung genießt und feiert, bringt ihn durch die permanente Steigerung und Summierung alltäglicher Eindrücke und Erfahrungen an den Rand seiner Identität (Living-Room).
Das neue Äon einer Kommunikationsgesellschaft ohne Kommunikation läßt die Rose, deren Symbolcharakter sich der Maler bisweilen bedient, verblassen. Die fortschreitende Enttabuisie-rung des postmodernen Menschen verliert sich im Rausche des permanenten Wandels und der ununterbrochenen Steigerung und Summierung alltäglicher Erfahrungen. Wo-man, vom über-kommenen Rollendenken intellektuell befreit, spielt mit den Geschlechtern (sie gleichen sich genotypisch an, ohne sich dabei näherzukommen).

In der Frau des ausgehenden Jahrhunderts konzentriert Gall diesen Zeitgeist und die Sehnsucht des Menschen nach Antworten. Die kantigen, knochigen Gesichter und Körper werden zur Chiff-re des von Erfolg und Wohlstand gekrönten, von Intellekt und Eros gleichermaßen begüterten Menschen. Was zunächst triumphierend, vielleicht sogar abweisend wirkt, zeigt sich im Detail als neue Perspektive. Hinter hochmütiger, luxuriöser Selbstsicherheit (Woman With Fish) verbergen sich Verletzlichkeit und eine Spur nachdenklicher Tristesse, ähnlich der Befindlichkeit im aus-gehenden 19. Jahrhundert, dem fin de siècle.
Pop-e-Woman, die Pop-Papst-Frau, entmythologisiert eine heilige Ordnung und stellt den (reli-giösen) Urgrund des Weiblichen dar. Der Thron (die Kathedra) als Symbol der Macht nimmt rudimentäre Weiblichkeit in sich auf und präsentiert sie vor kräftigen, gelben, zerrissenen Farb-flächen - Dominanz wird sichtbar. Einst überzog Männlichkeit das Weibliche, jetzt scheint es umgekehrt. Der Herrscherstuhl verdeutlicht symbolhaft den ewigen Kampf der Geschlechter. So-mit werden Gefühle wie Liebe zu einem unerreichbaren Ideal. Herrschaftsansprüche und Machtkämpfe bestimmen das Verhält-nis zwischen Frau und Mann. Was bleibt sind Lust, Sexus, Stär-ke und basic instinct als unüber-windbare Weltgesetze. Die Rose ist überflüssig, niemand will sie mehr. Die Annäherung der Ge-schlechter (A Look) wird somit als voyeuristisches Spiel ent-larvt. Keiner öffnet sich dem an-deren - aus Angst vor der Ernst-haftigkeit intellektueller Begeg-nung.

Fast völlig von der Zeit mitge-rissen erscheint die Figuration im Women-Circle. Der explosive Hintergrund, in dem Gegenstände einer lasziven Wohlstandsgesell-schaft an der Symbolkraft des Kreises zerbrechen, erscheint wie ein gewaltiger Hilferuf nach in-nen, nach dem verlorenen Ich.

Bernd Erich Gall profiliert eine elegant überspielte Gefühlswelt durch kraftvolle, materie-schwere, haptische Farbaufträge und kantige, strenge Linien. Entlang der sorgsam entwickelten, fast beängstigenden Figuren, läßt sich die Suche nach Identität und basic instinct erahnen. Im Spannungsfeld zwischen Form und Farbe zerbricht der Mensch an seiner Vernunft und seinen Gefühlen. Manche Gesichter wirken unscharf, verschwommen, abwesend - mit suchendem Blick nach innen - Ratlosigkeit.